: NRW stört Stammtisch
Überrumpelt von Berliner Ideen: NRW-Sozialverbände wehren sich gegen die Forderung ihrer Kollegen im Bund, das Arbeitslosengeld II zu kürzen. „Ein völlig falsches Signal“, so der Diakoniechef
VON NATALIE WIESMANN
Wie viel Geld steht Hartz-IV-EmpfängerInnen zu? Die Wohlfahrtsverbände in Nordrhein-Westfalen sind entsetzt über aktuelle Äußerungen ihrer Bundeskollegen. Vertreter der Arbeiterwohlfahrt, des Roten Kreuzes und der Diakonie hatten in einer offiziellen Erklärung mit den kommunalen Spitzenverbänden gefordert, die Zuschüsse für Arbeitslosengeld-II-EmpfängerInnen zu reduzieren.
„Das ist ein völlig falsches Signal“, sagt Günther Barenhoff, Vorsitzender der Diakonie in Westfalen. Mit der Forderung würde suggeriert, dass die Arbeitslosen selbst an ihrem Schicksal schuld seien. Die politische Wirkung dieser Forderung sei „fatal“, habe Stammtischniveau. „Es kann nicht sein, dass wir uns als Anwälte der Schwächeren verstehen und gleichzeitig fordern, ihre Leistungen zu kürzen.“
Die Wohlfahrtsverbände hatten sich in ihrer Erklärung insbesonders für „eine Senkung passiver Leistungen“ ausgesprochen. Das sei notwendig, „um ein dauerhaft tragfähiges und finanzierbares Leistungssystem zu erhalten“. Es gehe aber nicht darum, den Regelsatz von 345 Euro im Monat herabzusenken. Dennoch müssten „Anreize für Arbeit im Mittelpunkt stehen und die Leistungen auf tatsächlich Bedürftige konzentriert werden“.
Der nebulöse Begriff der „passiven Leistungen“, der nicht weiter ausgeführt wird, lässt allerlei Spekulationen zu: „Das hört sich so an, als ob die Passiven diejenigen sind, die mit der Bierflasche vorm Fernseher auf dem Sofa sitzen und die man durch Leistungskürzungen dort herausholen muss“, assoziiert Uwe Becker, Vorsitzender der Landesarbeitsgemeinschaft der Wohlfahrtsverbände in Nordrhein-Westfalen. Becker, der gleichzeitig Vorsitzender der Diakonie im Rheinland ist, will sich wie sein westfälischer Kollege einer Forderung nach Kürzungen nicht anschließen.
Andreas Johnsen, Geschäftsführer der Arbeiterwohlfahrtsverbände in NRW, weist den Vorstoß seiner Bundesvertreter als dessen „persönliche Erklärung“ von sich. „Das kann nicht unsere Rolle sein, darüber nachzudenken, wie man Arbeitslosen das Geld kürzen kann.“ Auch das Deutsche Rote Kreuz im Rheinland geht auf Distanz zu ihrem Generalsekretär Clemens Graf von Waldburg-Zeil, der die Erklärung mit unterschrieben hat. „Wir waren sehr überrascht über das Papier“, sagt Sprecherin Anja Martin zur taz. Weitere Kommentare wolle sie sich ersparen.
Allein der Städtetag NRW begrüßt den Vorstoß seines Bundesverbandes und der Wohlfahrtspflege. Passive Leistungen, zu denen der Städtetag unter anderem Zuschläge beim Übergang vom Arbeitslosengeld auf Harz IV zählt, müssten gestrichen werden. Auch Freibeträge auf Eigentum und Vermögen sollten befristet werden. „Nach einer bestimmten Zeit muss auch das eigene Haus eingesetzt werden“, sagt Städtetag-Sprecher Volker Bästlein.