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Archiv-Artikel

„Naiver Umgang mit Neonazis“

Vor dem Urteil im Pömmelte-Prozess: Rechtsextremismusexperte David Begrich sieht die örtliche Bevölkerung vom Thema überfordert. Auf dem rechten Auge blind sei der Staat nicht. Mit Neonazis reden? Nur wenn man die Regeln bestimme

INTERVIEW D. SCHOTTNER

taz: Welche Auswirkungen wird der Schuldspruch zu Pömmelte auf die Region haben?

David Begrich: Ich fürchte, die meisten Leute dort interessiert das nicht. Schon nach der Tat waren viele ratlos, weil sie sich so etwas nicht erklären konnten und nicht wussten, wie man mit Rechtsradikalismus umgeht.

Ist das Problem nur die Unterfinanzierung von Vereinen wie Ihrem?

Nein. Weit über die Region Schönebeck hinaus gibt es eine rechte Jugendkultur mit einer hohen kulturellen Anziehungs- und Integrationskraft. Es gibt ja kaum Alternativen. Jugendliche suchen nicht primär eine politische Sozialisation, sondern eine jugendkulturelle. Kommt die bloß von rechts, ist das nicht die Schuld der Jugendlichen, sondern die Schwäche der demokratischen Bürgergesellschaft.

Wo sind Sachsen-Anhalts rechtsradikale Zentren?

Neben Gebieten wie dem Ostharz, wo die NPD selbstverständlich auftritt, gibt es auch eine ubiquitäre, rechte Jugendkultur, in die jeder einsteigen kann, der einen Internetzugang hat. Die neonazistischen Strukturen an der Schnittstelle von Jugendkultur und Politik sind lokal sehr erfolgreich und erfüllen oft genug nicht die Klischees von „dumm, kahl, asozial“. Diese Organisationen schalten sich in Konflikte um die Themen Rechtsextremismus und Migration ein. In Halberstadt wurde auf Druck der NPD im März sogar ein Konzert von Konstantin Wecker abgesagt.

Wie soll man mit diesen Leuten umgehen?

Wer sie als normalen Gesprächspartner akzeptiert, wertet sie auf. Das gilt es zu verhindern. Wer mit Neonazis diskutiert, kann das machen – wenn er die Regeln selber festlegen kann. Man kann auch mal einen Aufmarsch unkommentiert durchgehen lassen. Es gilt nicht, Neonazis ihre Grundrechte zu verweigern, sondern man muss die rechtsstaatlichen Mittel voll ausschöpfen.

Es kann nicht sein, dass die Polizei rechtsextreme Straftaten nicht sanktioniert oder dass Staatsanwaltschaften systematisch den rechtsextremen Hintergrund bei Straftaten ausblenden. Das stärkt die Neonazis, weil die Herausforderung, die sie an den Rechtsstaat stellen, ignoriert wird.

Sind Gerichte, Polizei und Staatsanwaltschaften auf dem rechten Auge blind?

Das glaube ich nicht. Es ist eher unglaubliche Naivität im Umgang mit Rechtsextremismus, eine Mischung aus Ignoranz, Überforderung und Unfähigkeit, das Phänomen zu erklären.

Bedarf es eines Übergriffs vom Ausmaß Pömmelte oder Potsdam, ehe etwas passiert?

Das ist natürlich Teil der Mediendialektik. Vorfälle wie diese gibt es in den neuen Bundesländern fast jeden Tag. Aber entweder wird überhaupt nicht darüber berichtet, weil die Behörden angeblich alles im Griff haben, oder es wird der Eindruck verbreitet, die Rechten stünden kurz vor der Machtübernahme. Beides ist nicht der Fall.

Was wäre ein gerechtes Urteil im Fall Pömmelte?

Natürlich müssen die angeklagten Jugendlichen adäquat bestraft werden. Ich setze aber nicht auf das Prinzip Abschreckung, zumal kein Zusammenhang besteht zwischen der Härte der Strafe und der Abschreckungswirkung.

Kann eine harte Strafe die Täter läutern?

Das kann ich nicht beurteilen. Die rechte Szene hat sich interessanterweise von der Tat distanziert und danach ihre Aktivitäten intensiviert. Sie trage keine Verantwortung, hieß es. Aber von der symbolischen und ästhetischen Sprache bis hin zu Programmatik und politischer Praxis gilt: Rechtsextremismus bedeutet Gewalt.