piwik no script img

Archiv-Artikel

Ohne Absichten oder irgendeinen Plan

WUNDERKIND Sophie Hunger bedient mit ihrer Musik so gar nicht die naheliegenden, simplen Popklischees. Morgen tritt sie im Astra auf

Durch einen leise marschierenden Rhythmus schiebt sich eine verwehte Mundharmonika, dann wird Folk durch einen elektronischen Beat ergänzt. Die Stimmung erscheint immer etwas bedrückt, leicht unzufrieden, trotz aller Sanftheit ein bisschen aggressiv

VON THOMAS WINKLER

Auf die Schweiz ist eben Verlass. Die Schokolade schmeckt, die Nummernkonten sind sicher, und wenn Sophie Hunger ein neues Album herausbringt, dann befördert der Schweizer das mit stoischer Selbstverständlichkeit auf den ersten Platz seiner Charts.

Ist es doch so: In ihrem Heimatland besitzt Emilie Jeanne-Sophie Welti Hunger mittlerweile einen Status, wie ihn vielleicht ein Herbert Grönemeyer hierzulande genießt. Das ist zum einen erstaunlich, weil Hunger keine altgediente Institution ist, sondern gerade mal 27 Jahre alt und „1983“, der aktuellste Hitlistenstürmer, erst ihr drittes Album ist. Noch überraschender wird der Erfolg, wenn man ihre Musik hört, die so gar keine simplen Popklischees bedient. Stattdessen hat sie ihren überraschenden Erfolg mit eher vorsichtigen, zurückhaltenden Liedern erreicht. Die sind mal jazzig, mal eher folkig, oft melancholisch, hin und wieder zwar auch einigermaßen gefällig; aber eins sind sie garantiert nicht: allzu aufdringlich.

Vielleicht ist es ja genau das, was die Menschen mögen. Die Menschen jedenfalls, die Sophie Hunger hören. Aber wer hört eigentlich Sophie Hunger? Auch Sophie Hunger selbst hat sich das schon gefragt. Ihre Antwort ist: Kinder. Sie bekomme immer wieder Briefe, erzählt sie, in denen Eltern berichten, dass ihr Nachwuchs sich weigere, ins Bett zu gehen, ohne ein Paar Lieder von Hunger gehört zu haben. Die Kinder, vermutet sie gänzlich unironisch, könnten wohl gut einschlafen zu ihrer Musik. Ansonsten aber, gibt sie zu, sei ihr das eigene Publikum selbst weitgehend „ein Rätsel“. In Frankreich sei es überraschend jung, in Deutschland eher älter und in der Schweiz selbst gar nicht zu klassifizieren. Und wenn sie so redet, dann bekommt man das Gefühl, jemandem gerade streng geheime Informationen abzupressen.

Auch sonst erweckt Hunger an diesem nasskalten Wintertag, an dem sie nach Berlin gekommen ist, um ihr Album mit Interviews zu bewerben, nicht eben den Eindruck, sie habe vor, irgendwie zur Klärung des Phänomens Sophie Hunger beizutragen. Vielleicht liegt es daran, dass sie ein wenig erkältet ist. Vielleicht liegt es daran, dass jeder immer wissen will, wie sie so funktioniert, sie aber genau darüber eigentlich nicht sprechen will. Auf jeden Fall sagt sie oft „vielleicht“. Fast so oft wie: „Das ist schwierig.“ Oder noch öfter: „Ich weiß nicht.“ Ja selbst wenn man sie fragt, ob sie gern auf der Bühne steht, sagt sie eher zögerlich: „Ich glaub schon.“ Dann immerhin ringt sie sich durch zu dem Bekenntnis: „Ich weiß zumindest, das es das Beste ist, was ich kann.“

Womöglich ist es ja dieses Zergrübelte, Zweifelnde, was ihren Erfolg zumindest ansatzweise erklärt. Denn oberflächlich betrachtet, sind es zwar Popsongs, die sie auf „1983“, benannt nach ihrem Geburtsjahr, singt. Popsongs allerdings, die allerhand Vorgaben des Popgeschäfts geradezu systematisch unterlaufen, allen voran eine leichte Schubladisierung. Das beginnt damit, dass sie zwar meist in Englisch singt, aber auch in Französisch, Deutsch und sogar Schwyzerdütsch. Und das endet noch lange nicht bei der Musik, für die mal eine Kategorie wie Kammerpop bemüht wird, die dann Soulfolk geheißen wird, für die ein stimmiger Begriff aber wohl noch nicht gefunden ist, weil sie ständig mit neuen Details überrascht. Mal deklamiert Hunger nur zu einem einsamen Klavier, mal fährt sie ein plüschiges Arrangement auf. Mal singt sie ein Chanson, mal feiert sie das Volkslied. Durch einen leise marschierenden Rhythmus schiebt sich eine verwehte Mundharmonika, dann wird Folk durch einen elektronischen Beat ergänzt. Kleinster gemeinsamer Nenner ist allenfalls die Stimmung, die immer etwas bedrückt scheint, leicht unzufrieden, trotz aller Sanftheit ein bisschen aggressiv.

Sie ist schwer zu fassen, diese Sophie Hunger, immer in Abwehrhaltung. So wie sie sich musikalisch nicht festlegen will, will sie das erst recht nicht im Gespräch: „Über Musik zu sprechen, das ist fast nicht möglich. Musik ist eine eigene Sprache.“ Absichten, gar einen Plan, irgendwelche Intentionen, all das gibt es nicht bei ihr, glaubt sie. Oder will sie nicht glauben: „Wenn ich als Kind musiziert habe, dann hat sich das schon genauso angefühlt wie heute.“

Tatsächlich ist es wohl diese Naivität, die immer wieder durch ihre Musik hindurchscheint, die ihr Publikum so schätzt. Die dafür sorgt, dass in den Berichten über sie auch heute noch das Attribut „Wunderkind“ beständig wiederholt wird, dass ihr gern bescheinigt wird, unglaublich authentisch zu sein. Doch auch das lehnt die so Klassifizierte, wen wundert’s noch, ab. Der klassische Autorenbegriff, damit könne sie gar nichts anfangen und Authentizität sei eine Kategorie, die sie gar nicht erst verstehen wolle. Da ist sie verschnupft, zusätzlich zu ihrem ganz realen Schnupfen.

■ Sophie Hunger spielt am 27. Mai im Astra