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Archiv-Artikel

„Opfer sind keine Statisten“

ERINNERN Vor 21 Jahren starben in der Nacht zum 23. November 1999 bei dem Brandanschlag von Mölln drei Menschen, neun wurden verletzt. Ibrahim Arslan kämpft für eine Gedenkveranstaltung

Von AS
Ibrahim Arslan

■ 28, war bei dem Brandanschlag, bei dem seine Großmutter, seine Schwester und seine Cousine starben, sieben Jahre alt. Foto: dpa

taz: Herr Arslan, Sie waren sieben Jahre alt, als Sie den Brandanschlag überlebten. Vor 20 Jahren endete das Verfahren gegen die Täter. Hat Ihnen der Prozess helfen können, das Erlebte aufzuarbeiten?

Die Tätern wurden nur zu zehn und 15 Jahren Haft verurteilt, was in meinen Augen keine angemessene Strafe für so eine Tat ist, aber dies ist in Deutschland leider die Höchststrafe. Mich macht es eher unruhig, dass die Täter draußen sind und uns jederzeit über den Weg laufen können.

In München läuft der NSU-Prozess. Sehen Sie, dass dort den Angehörigen der Opfer mehr entgegen gekommen wird?

Ich sehe seit 59 Tagen nur Beate Zschäpe im Fernseher und in Zeitungen. Nicht die Angehörigen der Ermordeten. Die Opfer sind nicht die Statisten, sondern die Hauptzeugen des Geschehenen.

In diesem Jahr nehmen Sie nicht an den offiziellen Gedenkveranstaltungen teil?

Wir haben wie die NSU-Opfer Anforderungen, die leider in keiner Weise berücksichtigt werden. Wir müssen immer noch um unsere Erinnerung kämpfen und für unser Gedenken, denn die Debatte, ob Opfer ihre Gedenkveranstaltung selbst gestalten dürfen, ist immer noch umkämpft. Der Versuch von staatlichen Institutionen die Gedenkveranstaltung auf ihre Seite zu ziehen, ist immer noch aktuell.

Einmal Statist, immer Statist?

Ja, leider hat es kein Ende. Am liebsten sollten Opfer und Überlebende nur die Anwesenden grüßen und wieder ein Jahr den Mund halten, besser ist es natürlich, wenn die Opfer und Überlebenden den Tätern verzeihen.

Sie sehen sich auch als Opfer der Gedenkpolitik?

Weil ein Opfer und Überlebender mit seiner persönlichen und politischen Meinung über das Gedenken vielen ein Dorn im Auge ist. Einige sind natürlich der Meinung, dass es in Deutschland kein Nazi-Problem gibt. Wir sind der Meinung, dass Rassismus und Neonazismus immer noch ein Teil unserer Gesellschaft sind. Leider.

Bürgermeister Jan Wiegels hält Ihnen vor, zu keinem Vorgespräch erschienen zu sein.

Ich bin erschienen. Am letzten Vorgespräch habe ich aus verschiedenen Gründen nicht teilgenommen.

Er spricht von „falschen Behauptungen“, die „wieder“ erhoben würden?

Ich weiß nicht, welche Behauptungen falsch sein sollen? Das „wieder“ kann sich nur darauf beziehen, dass wir unsere Forderungen wieder klar und deutlich formulieren. Unser Wunsch nach einem anti-rassistischen und anti-faschistischen Gedenkkonzert wurde von der Stadt Mölln abgelehnt. Die Möllner Rede soll „nicht mehr am Jahrestag als Bestandteil des offiziellen Programms durchgeführt werden“. Zwar ist die Rednerliste am Gedenktag für Familienmitglieder offen, aber Bürgermeister Wiegels hat darauf hingewiesen, dass das „Schlusswort“ am Gedenktag nicht durch die Familie Arslan erfolgen soll.  INTERVIEW: AS

„Möllner Rede im Exil“: heute, Hamburger Rathaus , 19 Uhr