: Amokschütze nach Großfahndung in Haft
FRANKREICH Für die Polizei ist der 48-jährige Abdelhakim Dekhar kein Unbekannter. Er wurde bereits in den 90ern in einem höchst mysteriösen Kriminalfall zu einer Haftstrafe verurteilt. Aufgrund von Briefen gilt der Mann als ziemlich verwirrt
AUS PARIS RUDOLF BALMER
Die Pariser Polizei hat am Mittwochabend im westlichen Pariser Vorort Bois-Colombes im Département Hauts-de-Seine einen Verdächtigen festgenommen, bei dem es sich um den mutmaßlichen Amokschützen handeln soll, der am Dienstag die Bevölkerung der französischen Hauptstadt in Angst und Schrecken versetzt hatte. Seit zwei Tagen wurde fieberhaft nach dieser Person gefahndet, die in der Zeitung Libération den Assistenten eines Fotografen sehr schwer verletzt, anschließend vor einem Bankgebäude im Quartier La Défense wild um sich geschossen und zuletzt einen Autofahrer mit Waffengewalt als Geisel genommen hatte.
Die Festnahme war dank einem der Hunderten von Hinweisen möglich geworden, welche die Ermittler aus der Bevölkerung erhalten hatten. Über die Motive seines Amoklaufs am Dienstag herrscht weiterhin Unklarheit. Dem Zeugen, der ihn beherbergt habe und der dann aufgrund der Fahndungsfotos die Polizei informiert hatte, soll er gesagt haben, er habe eine „Dummheit gemacht“.
Als die Polizei dem Hinweis folgte und in einer Parkgarage in Bois-Colombes eintraf, lag der Verdächtige bewusstlos in einem Auto. Anscheinend hatte er versucht, mit Medikamenten Selbstmord zu begehen. Er war vorerst nicht vernehmungsfähig und musste ins Krankenhaus gebracht werden. Aufgrund eines Vergleichs der DNA-Proben vom Tatort ist die Polizei überzeugt, dass es sich tatsächlich um den als sehr gefährlich eingestuften Amokschützen handelt.
Nach Angaben der Behörden ist der Mann kein Unbekannter für die Justiz. Er heißt Abdelhakim Dekhar und war im Zusammenhang mit einem spektakulären Mordfall in den neunziger Jahren wegen Beihilfe zu vier Jahren Haft verurteilt worden. Der Fall hatte Frankreich 1994 erschüttert. Die Studentin Rey hatte damals zusammen mit ihrem Freund eine Polizeiwache überfallen, um sich Waffen für einen Bankraub zu beschaffen. Bei einer Verfolgungsjagd wurden drei Polizisten, ein Taxifahrer und ihr Freund getötet. Dekhar wurde verurteilt, weil er dem Pärchen ein Gewehr beschafft hatte. Unmittelbar nach der Verurteilung kam er frei, da er die Strafe bereits durch die Untersuchungshaft abgesessen hatte.
Dekhar hatte vor seiner Festnahme am Mittwoch „einen oder mehrere Briefe“ verfasst, die von der Polizei als „recht wirr“ klassifiziert wurden. In den Schreiben breite sich der algerischstämmige Mann über Libyen, Syrien und die Lage in der arabischen Welt aus. In dem zweiten Schreiben spreche er von einem „faschistischen Komplott“, den Verbrechen des „Kapitalismus“ sowie der „Manipulation der Massen“ durch „die Medien“, wie die Staatsanwaltschaft erklärte.
In einem psychiatrischen Gutachten in den 1990er Jahren wurde kein „Anflug von Wahnsinn“ bei dem in Ostfrankreich geborenen Dekhar festgestellt, wie die Staatsanwaltschaft versicherte, lediglich eine „Tendenz zu fabulieren“. Unter dem Pseudonym „Toumi“ war Dekhar Anfang der 1990er Jahre ein häufiger Gast in besetzten Häusern der radikalen Linken im Großraum Paris. Seine damalige Anwältin Emmanuelle Hauser-Phélizon erinnert sich, Dekhar sei ihr stets „eigenartig und rätselhaft“ vorgekommen. Er habe behauptet, ein Agent im Dienste Algeriens oder Frankreichs gewesen zu sein. (Mit AFP)