: Europas Nachwuchs
Montenegro ist unabhängig – und gespalten. 45 Prozent stimmten gegen die Unabhängigkeit
AUS NIKŠIĆ ERICH RATHFELDER
Das Ja zur Unabhängigkeit Montenegros vom Serbien hat sich doch noch durchgesetzt. Bis zuletzt waren sich auch die hartgesottensten Befürworter nicht ganz sicher, ob das von der EU geforderte Quorum von 55 Prozent erreicht würde. Deshalb ist bei ihnen Erleichterung zu spüren. Als Premierminister Milo Djukanović gestern am frühen Morgen den Sieg für sich beanspruchte, fiel die ganze Last von ihm ab. Auch hunderte von internationalen Beobachtern sind zufrieden. Mit 55,4 Prozent der Stimmen sei das Votum zwar äußerst knapp ausgefallen, doch die Wahlbeteiligung von fast 87 Prozent sei doch sehr positiv zu bewerten, erklärte der Europaabgeordnete Milan Horacek.
Der Wahlbeobachter bestätigte zudem, dass die Abstimmung „äußerst korrekt und fair“ durchgeführt worden sei. Der EU-Außenpolitiker und Architekt des Staatenbundes Serbien-Montenegro, Javier Solana, sagte, die EU werde das Ergebnis „vorbehaltlos respektieren“. Damit beendete er die Debatten der letzten Jahre. Denn Solana war es, der immer wieder Hürden vor der Volksabstimmung aufgebaut hatte.
Für den Schriftsteller Jevrem Brković war nun der Sieg vollständig. „Wenn Solana gratuliert, dann haben wir es wirklich geschafft,“ erklärte der frühere Oppositionelle des Milošević-Regimes, der jahrelang im Exil leben musste. Nun hofft er, dass die jahrzehntelange Spaltung der Gesellschaft überwunden wird.
Die „Grünen“, wie die Befürworter der Unabhängigkeit auch genannt werden, waren noch vor zehn Jahren weit in der Minderheit. Doch die Bewegung wuchs und bekam mehr Gewicht, nachdem sich der ehemalige kommunistische Parteifunktionär Milo Djukanvić auf die Seite der Unabhängigkeitsbewegung geschlagen hatte. Die erstmals abstimmenden Jugendlichen haben offenbar die Wahl am Sonntag entschieden. So jedenfalls meinen einige montenegrinische Journalisten. „Die wollen nach Europa und sehen in einem Staatenbund mit Serbien keine Chancen mehr.“
Die Verlierer, das sind immerhin 45 Prozent der Montenegriner, vor allem die Anhänger der serbisch-orthodoxen Kirche, fühlen sich mit den Serben als gemeinsame Nation, als ein Volk. Und sie kritisieren, dass Djukanović die Mehrheit den Stimmen der Minderheiten verdanke. In der Tat haben die vor allem im Süden lebenden Albaner, Katholiken von Kotor und die Bosniaken im Sandžak für die Unabhängigkeit gestimmt.
Manche führen andere Gründe an. Auch Branko hat mit Nein gestimmt. „Montenegro wird niemals von sich aus eine Mannschaft zur Fußballweltmeisterschaft schicken können,“ bedauert er. Der Familienvater konnte gestern nach dem ersten Schock über die Niederlage immerhin wieder lachen. Er hat einfach Angst, dass die Sozialversicherung Pleite geht und die Anhänger von Djukanović sich nun in allen staatlichen Institutionen breit machen.
In der Hauptstadt Podgorica halten sich Nein- und Jastimmen die Waage. An Demonstrationen will Branko aber nicht teilnehmen. „Wir werden das Ergebnis akzeptieren. Was sollen wir auch sonst tun.“ Es wird nun an der politischen Führung liegen, ob die Gräben im Lande wieder zugeschüttet werden und der Triumphalismus der Befürworter in Zaum gehalten werden kann. Das Land muss sich weiter demokratisieren. Und das bedeutet zum Beispiel, dass die elektronischen Medien, die vor der Abstimmung doch sehr parteilich wirkten, vielstimmiger werden. Und es bedeutet, dass die Jobs in den Institutionen nicht nach Parteibuch oder nach Familienzugehörigkeit vergeben werden dürfen. In dem Land, in dem jeder jeden kennt, wird das schwer fallen.
So fällt der EU, die ja bereits weitere Verhandlungen über ein Assoziierungsabkommen führen wird, die Aufgabe zu, ganz genau hinzusehen und auf die Regierung entsprechend einzuwirken. Diplomatische Beobachter jedenfalls halten das für möglich. Djukanović wird alle Bedingungen akzeptieren.
In den Nachbarländern hat der Sieg für Djukanović große Erleichterung ausgelöst. In Bosnien und Herzegowina deshalb, weil serbische Nationalisten weiterhin eine Vereinigung der serbischen Teilrepublik Bosnien und Herzegowina mit Serbien anstreben. Diese Kräfte hätten nun einen Dämpfer erhalten, hieß es in Sarajevo. Auch im Kosovo war die Freude groß. Denn die Unabhängigkeit Montenegros erhöht die Chancen der von der UN verwalteten, aber nach wie vor zu Serbien gehörenden Provinz, selbst unabhängig zu werden.