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Archiv-Artikel

Sounds sammeln

KONZERT BJ Nilsen und Schneider TM präsentieren im Ausland ihre neuen Klangforschungen

Wo Geräusch ist, darf auch Poesie sein: In den Worten von BJ Nilsen also der „Sound einer Einkaufstüte, vom Wind über den Asphalt einer belebten Straße getrieben, während ein Bus vorbeifährt“, dem der schwedische Klangkünstler ein Jahr lang in London auf der Spur war. Als „Artist in Residence“ ließ er sich durch die Stadt treiben, ausdrücklich den Vorsatz beherzigend, dass der ideale Flaneur keinem Stadtplan folgt.

Was er beim Flanieren aufnahm, verdichtete der auch in Berlin arbeitende Nilsen zu seinem neuen Album „Eye of the Microphone“. Am Donnerstag stellte er es bei einem Doppelkonzert im Kellerclub Ausland in Prenzlauer Berg vor. Versunkenen Blickes schraubte Nilsen an Laptop und Effektgeräten, die Kommunikation mit dem Publikum übernahm seine Musik. Und die war enorm. „Eye of the Microphone“ besteht aus drei Teilen: „Londinium“, „Coins and Bones“ und „Twenty Four Seven“ – eine Wanderung durch London von der Victoria Station zum Wasser und zum Walde hin, eine Melange aus Kakofonie und Meditation. Polizeisirenen fanden sich im Zwiegespräch mit Startgeräuschen von Flugzeugen, scharfkantige Soundsplitter landeten auf großflächigen Klangteppichen.

Mit etwas elektronischem Zuspiel unterstützte Nilsen im Anschluss Dirk Dresselhaus alias Schneider TM, jenen einstmaligen Bielefelder und jetzt Berliner Musiker also, der den Weg vom Indierock zur experimentellen Musik gegangen ist. Sein im Ausland präsentiertes neues Album „Guitar Sounds“ ist der zweite Teil seiner „Sounds“-Reihe, die er 2012 mit Aufnahmen von Berliner Baustellen eröffnete. Technische Perfektion ist Schneider zweitrangig. Er setzt auf Improvisation, wobei der Zufall alles andere als willkürlich ist und einer eigenen Logik folgt.

In seinem Konzert geriet man vom Urbanen ins Sphärische. Schneider TM spielte E- und Hawaiigitarre, beide zwecks schöner Soundeffekte auch mit dem Geigenbogen. Eine zusätzliche optische Ebene eröffneten die japanische Tänzerin Tomoko Nakasato und ihr Landsmann und Videokünstler Takehito Koganezawa. Sie stand zuerst geschätzte zwanzig Minuten nur mit dem Rücken zum Publikum, er warf geometrische Linien auf die Leinwand und Nakasatos schwarze Bühnenkluft. Bis er Farben ins Spiel brachte und Bilder vom Club und dem Spiel von Schneider TM hinzufügte; und sie sich umwandte und in ihrem Tanz zwei Räume vermaß und umarmte: den des Ortes und den des Klangs. Eine Sensibilisierung. Auf dem Weg nach Hause waren die Schritte des Hintermanns und der nachmitternächtliche Verkehr zu hören. Die Tür eines Spätverkaufs scharrte über den Boden. Zum Geleit fiel leiser Regen. ROBERT MIESSNER