: „Das Modell des Durchwurschtelns funktioniert nicht mehr“
DER KABARETTIST Kann ein einzelner Mensch tatsächlich all die eigentümlichen Geschichten und Begegnungen erleben, die Horst Evers’ Bücher zu Bestsellern machen? Ja, sagt der Autor, „das ist ein großes Reservoir.“ Dabei findet der 46-Jährige längst nicht alles lustig, was sich in seinem realen Umfeld abspielt
■ Der Mensch: Geboren 1967 als Gerd Winter in Evershorst bei Diepholz in Niedersachsen. Kam 1987 nach Berlin, studierte an der Freien Universität Germanistik und Sozialkunde, legte aber nie eine Abschlussprüfung ab. Lebt als anerkannter Autor und Kabarettist mit Freundin und Tochter in Kreuzberg.
■ Die Figur: Bis auf einen Kriminalroman, der im vergangenen Jahr erschien, kreisen alle Geschichten von Horst Evers um eine von der Wirklichkeit inspirierte Kunstfigur. Diese besticht vor allem durch notorisches Zuspätkommen, großes Phlegma, herzzerreißende Glücklosigkeit und dem halb freiwilligen, halb unfreiwilligen Entschluss, sich einem Großteil der Errungenschaften des modernen Lebens zu widersetzen.
■ Das Werk: Horst Evers gründete 1989 die Lesebühne Das Mittwochsfazit und 1990 Dr. Seltsams Frühschoppen. Letztere feiert unter dem Titel „Frühschoppen“ bis heute Erfolge. Horst Evers’ erstes Buch „Wedding“ erschien 1997, sein aktuelles, „Wäre ich du, würde ich mich lieben“, vor wenigen Wochen. Wie schon die letzten beiden Bücher wurde auch dieses sofort ein Bestseller. Evers hat zahlreiche Hörbücher mit seinen Geschichten aufgenommen und Kabarettpreise gewonnen.
INTERVIEW SUSANNE MESSMER FOTOS DAVID OLIVEIRA
taz: Herr Evers, es heißt, professionelle Komiker seien privat mitunter kontrollierte, humorlose, ja manchmal sogar eher unglückliche Menschen. Trifft das auch auf Ihre Person zu?
Horst Evers: Na ja. Ich bin privat verlässlicher, als es auf der Bühne und in meinen Büchern scheint. Aber an sich ist der Unterschied zwischen der Figur, die ich darstelle, und mir selbst eher nicht so groß. Ich arbeite und reagiere im Alltag oft aus dem Bauch heraus und recht, nun ja, nennen wir es flexibel, auf das, was mir so geboten wird. Manchmal geschieht dies zu meinem großen Bedauern.
Und gibt es auch Unterschiede zwischen Gerd Winter, wie Sie eigentlich heißen, und Horst Evers?
Nein, das bin ich schon selbst, ich bringe die Dinge nur auf den Punkt. Man sieht ja auch, dass der Horst Evers aus dem „Wedding“-Buch, das 1997 erschienen ist, nicht mehr der Horst Evers der letzten Bücher ist. Der ist genau wie ich um einiges älter, hat einiges dazuerlebt, ein Kind bekommen, gelernt, was Verantwortung heißt und das ganze Zeug. Das fließt alles in die Geschichten ein.
Auch haben sich, wenn man aus Ihren Geschichten schlussfolgern darf, Ihre Lebensumstände radikal verändert.
Das ist gar nicht zu leugnen. Zum Beispiel spielte Ende der Achtziger, als ich nach Berlin kam, Geld eine wahnsinnig große Rolle. Weil ich keins hatte. Ich bin Taxi gefahren, war Eilzusteller bei der Post, hatte alle möglichen Jobs. Hinzu kam die dunkle Wohnung in Wedding, Vorderhaus Parterre. Immer ging es in meinen ersten Berliner Jahren darum, über den nächsten Monat zu kommen. Das hat sich nun geändert. Besonders seit dem vorletzten Buch „Für Eile fehlt mir die Zeit“, das vor zwei Jahren erschienen ist. Es hat sich sehr gut verkauft.
Es war viele Wochen lang in den Bestsellerlisten.
Genau. Geld spielt seitdem in meinem Leben keine so große Rolle mehr. Weil es einfach vorhanden ist. Es ist mir in viel größerem Maße egal geworden.
Wenn aber zu viel Geld vorhanden ist, dann muss man es auch verwalten. Kann das nicht anstrengend werden?
Das Schicksal, zu viel Geld zu verdienen, ist mir Gott sei Dank bisher erspart geblieben.
Hat sich der Wechsel des Kiezes, den Sie vollzogen haben, aus dem Wedding hierher, nach Kreuzberg 61, in Ihrer Literatur niedergeschlagen?
Natürlich. Das hat mich noch lang beschäftigt, auch wenn es schon 13 Jahre her ist. Damals, als alle in den Osten zogen, habe ich sofort versucht, antizyklisch zu denken. Wenn etwas alle machen, wird das schiefgehen. Die werden sich da gegenseitig niedertrampeln, dachte ich.
Und haben es deshalb anders gemacht?
Ich habe Spaß daran, weit nach vorn zu schauen und zu planen und möglichst viel auf einmal klug zu machen. Als klar war, dass das Kind kommt, haben wir wirklich geguckt, wo alles stimmt. Von unserer Lebenswirklichkeit, die nach Theatern und Kneipen verlangt, bis zur Kita und zur Schule. Man hat hier nach wie vor noch alles. Und man kann alles, was man braucht, fußläufig erreichen.
Sie haben sich ein Dorf geschaffen?
Ich halte diese Gegend für die beste und schönste Berlins. Diese Zufriedenheit spielt in meinen Geschichten schon eine erhebliche Rolle.
Ist es nicht ein wenig zu bürgerlich hier?
Ich bin ein großer Freund der tausend Youth Hostels hier in der Ecke. Die haben eine ganz neue Infrastruktur geschaffen. Ich stehe gern abends auf der Straße und gucke und höre den Jugendlichen aus aller Welt zu, wie sie das bürgerliche Kreuzberg aufmischen.
Nerven Sie die vielen Touristen nicht?
Im Gegenteil. Die sind herzlich willkommen. Schlimmer finde ich Luxusbauten wie Riehmers Hofgarten, der jetzt in weiten Teilen leer steht, weil sich einfach ein Spekulant vertan hat. Oder auch das seltsame Selbstbewusstsein dieser Neuberliner, die sich hier Wohnungen kaufen und dann ihre Nachbarn mit Lärmklagen überziehen. Ich kenne sehr viele Leute, die allein oder im Kollektiv Kneipen betreiben. Und jeder, wirklich jeder von denen hat Probleme mit Anwohnern. Das finde ich nicht akzeptabel. Eine Großstadt macht nun mal Lärm, das muss jedem klar sein, der hier wohnen will.
Zurück zu Horst Evers: All diese Kämpfe mit dem Alltag, die er nach wie vor und trotz allen Ankommens auszustehen hat, die Malheurs, die diesem notorischen Hypochonder und Zuspätkommer aus Überzeugung passieren: Die kann doch unmöglich ein einzelner Mensch alle erlitten haben?
Doch!
Wirklich?
Na ja. Manches überspitze ich schon. Aber im Prinzip habe ich Dreiviertel der Geschichten im Kern selbst erlebt. Und wenn ich dafür in der Vergangenheit herumkramen muss. Das ist ein großes Reservoir, aus dem ich noch viele Geschichten und Kindheitstraumata hochholen kann. Ich hatte das teilweise ganz vergessen. Ich scheine da eine Art private Psychoanalyse durchzumachen.
Und doch haben Sie mit Ihrem letzten Buch „Der König von Berlin“, das letztes Jahr erschien, erstmals etwas Neues versucht. Sie haben Horst Evers Horst Evers sein lassen. Sie haben einen Krimi geschrieben, einen Roman. Ohne Horst Evers.
Ja, aber selbst da habe ich den Horst Evers nicht ganz herausbekommen. In beiden Protagonisten, im Kommissar wie im Jugendfeind, steckt ein bisschen Horst Evers. Das liegt aber auch daran, dass ich viel Respekt vor der Größe des Projekts Roman hatte, einer vergleichsweise komplexen Geschichte auf mehreren Ebenen. Ich wollte wenige Fehler machen, die Charaktere möglichst logisch, lebendig und präzise hinbekommen. Und das schafft man leichter, wenn man sie mit der Wirklichkeit und hier und da mit einer realen Person abgleicht.
Und nun, im neuen Buch, sind Sie trotzdem zu Horst Evers zurückgekehrt.
Horst Evers ist unwiderstehlich. Wie der Titel des Buchs schon sagt: „Wäre ich du, würde ich mich lieben“.
Es scheint mir, ein großer Teil des Charmes Ihrer Geschichten rührt daher, dass Horst Evers ein Mensch vom Dorf ist, der mit den topmodernen Anforderungen des Großstadtlebens nicht zurecht kommt – und auch gar nicht zurecht kommen will. Stimmt das?
Das Dorf in Niedersachsen, in dem ich groß geworden bin, heißt Evershorst. Man sieht also, wie wichtig das Dorf für Horst Evers ist. Meine Kindheit war sehr behütet. Auch kannte ich keine Langeweile. Ich durfte gar keine kennen. Wenn ich in meiner Kindheit nichts zu tun hatte, war da sofort jemand, der mich zu irgendeiner Arbeit auf dem Bauernhof verdonnerte. Also musste ich immer lesen. Das war in meiner Familie zum Glück hoch genug angesehen. Ich musste nicht so oft aufs Feld.
Fehlte es auf dem Dorf nicht an Reizen und Herausforderungen?
Natur, Wald, Tiere: Das war immer etwas, das mich nicht besonders interessiert hat und dem ich entfliehen wollte. Ich war ein Meister der Tagfluchten. Ich habe mir ganz eigene Welten mit ganz eigenen Personen geschaffen – etwas, das ich ja bis heute mache. Die Jugend auf dem Land lässt viel Raum für Illusionen. Ich hatte ziemlich große Träume, was im Leben alles möglich sein könnte.
Verkörpern Sie damit einen Typus, der Ende der Achtziger und Anfang der Neunziger recht häufig nach Berlin gekommen ist?
Ich glaube schon. In Horst Evers finden sich recht viele meiner Generation wieder. Denn sein Lebensstil war eigentlich nichts Exzentrisches, sondern eher der Klassiker. Jeder lebte doch nach dem Motto: Ich kenne keinen, habe kein Geld, wohne in einer Schrottwohnung, suche ständig nach Jobs und studiere irgendwas, von dem ich nicht genau weiß, was das soll – und trotzdem ist mir das alles recht egal, weil ich mir ganz sicher bin, dass hier irgendwo etwas ganz Großartiges lauert.
Gleichzeitig zeigte sich Horst Evers schon immer recht resistent gegen all die Verheißungen des schnellen, funktionalen Großstadtlebens, oder etwa nicht?
Das ist ja gar kein Widerspruch. Eigene Illusionen machen resistent gegen die Illusionen anderer. Wenn ich beispielsweise davon träume, in naher Zukunft durch Neutronentore in den Weltraum reisen zu können, dann kann ich nicht richtig sehen, warum es mich begeistern soll, dass das Betriebssystem des neuen Handys ein wenig schneller ist als das des alten.
Dieses Lebensgefühl, nichts zu haben und dafür umso mehr zu träumen: Findet man das heute in dieser Stadt noch, wenn man gerade ankommt?
Eher nicht.
Und was machen die, die schon länger da sind?
Viele Leute meiner Generation haben da ein großes Problem. Das Modell des Durchwurschtelns, das lange Zeit super ging, funktioniert plötzlich nicht mehr. Sie müssen, wenn sie nicht wie ich mehr oder weniger zufällig erfolgreich geworden sind, komplett umdenken. Ich kenne viele, die sich jetzt noch, mit Mitte vierzig, beruflich neu orientieren müssen, um ihre Miete zahlen zu können.
Sind es wirklich nur die Mieten?
Absolut. Die Leute können sich in ihren Kiezen keine Mietwohnungen mehr leisten – ganz zu schweigen davon, dass sie niemals eine Bank finden würden, die ihnen eine Wohnung finanziert. Da gab es doch diesen großartigen Satz von irgendeinem Berliner SPD-Politiker, der beste Schutz gegen steigende Mieten sei Wohneigentum. Das ist in etwa so, als würde man sagen: Der beste Schutz gegen Armut ist viel Geld.
Glauben Sie, Berlin wird so wie Barcelona?
Ich hoffe trotz allem immer noch, dass Berlin das alles irgendwie besser hinbekommen wird.
Sie haben in Berlin mit Dr. Seltsams Frühschoppen vor einem knappen Vierteljahrhundert eine der ersten Lesebühnen Berlins gegründet, der Sie nach wie vor treu sind.
Hans Duschke, Bov Bjerg, Andreas Scheffler und ich: Wir hatten uns beim Studium an der Freien Universität kennengelernt, wollten alle schreiben und gründeten also die Zeitschrift Salbader, die es übrigens bis heute gibt. Wir haben den Salbader beim Asta drucken lassen und umsonst verteilt, aber keiner wollte das Heftchen haben. Also haben wir begonnen, zu Streikzeiten im Germanistik-Café vorzulesen. Das wurde sehr schnell wahnsinnig erfolgreich, und wir wollten bald in die Stadt raus. Eine sehr kluge Entscheidung.
Warum?
Wir hatten sehr schnell ein sehr großes Publikum. Ich glaube, wir haben da einen viel besseren Weg eingeschlagen als andere, die zu dieser Zeit versuchten, Texte bei Zeitungen und Zeitschriften einzureichen und sich mühsam einen Namen zu machen. Zu uns kamen die Medien von selbst, weil wir ja schon ein Publikum hatten.
Hat die Bühne Ihre Geschichten geprägt?
Eindeutig. Ich war damals ein extrem schüchterner Mensch und blühte auf der Bühne regelrecht auf. Das ging den anderen auch so. Dieser Zuspruch war wie ein Rausch. Und das wuchs, zumindest in unserem Fall, langsam immer weiter. Wir wurden immer erfolgreicher – und werden es bis heute.
Wie groß ist der Einfluss der Lesebühnen auf den Literaturbetrieb und die Kleinkunst?
Im Kabarett sind heute sehr viele unterwegs, die als Vorleser angefangen haben. Da war die Szene sehr viel schneller und offener als der Literaturbetrieb. Die Verlage waren da sehr viel zäher, anstrengender. Man musste mit viel mehr Dünkel kämpfen. Nach wie vor hat Humor in der deutschen Literatur keinen leichten Stand.
Wie hat sich denn das Publikum Ihrer Lesebühnen in den vergangenen Jahren verändert, wie alt sind ihre Zuschauer?
Da haben viele neuere Bühnen wie „Tiere streicheln Menschen“, die ich auch sehr schätze, ein sehr viel jüngeres, studentischeres. Unseres ist eher mit uns gealtert. Das ist aber ein wenig anders, wenn ich allein auftrete. Dann erinnert mich mein Publikum an diese Spiele von Ravensburger, auf denen immer „8 bis 88 Jahre“ steht. Wenn ich zum Beispiel in den Wühlmäusen eine Nachmittagsvorstellung mache, dann kommen richtig viele Familien. Viele sogar über drei Generationen. Von der zwölfjährigen Tochter bis zur Oma siebzig plus. Ich habe einen großen Querschnitt, nicht nur in Berlin. Ich denke, das liegt auch an meiner Präsenz im Radio.
Und wie fühlt sich das an, Unterhalter für die ganze Familie zu sein?
Ich bin eigentlich ganz dankbar, dass ich auf diese Weise jüngeres Publikum ziehe. Denn es ist heikel, als Mensch jenseits der vierzig Leute anzusprechen, die zwanzig Jahre jünger sind. Die einzigen im Humorbereich, denen das gelingt, wenn sie auch damit hadern, sind aus meiner Sicht Die Ärzte. Und natürlich Fil. Aber das auch nur, weil sie dieses Problem in ihren Shows auf sehr schlaue Weise mitreflektieren.
Die Lesebühnen haben eine ähnliche Geschichte wie die Popkultur: Anfangs Jugendkultur, funktioniert es heute generationenübergreifend.
Genau. Davon habe ich auch immer geträumt: Ich komme als Veteran und Gründungsmitglied am Stock zum Frühschoppen.
Und dann?
Dann darf ich zwanzig Minuten lang sehr bräsig, irrsinnig langweilig und mit langen, langen Pausen dozieren. Ohne dass es einer wagt, mich zu unterbrechen. Denn es könnte immerhin das letzte Mal sein.