: Ironisch kommentierte Frühgeschichte
Der australische Künstler Tony Clark zeigt im Essener Ruhrlandmuseum seine Myrioramen. Das sind Serien kleinformatiger Tafelbilder, die untereinander austauschbar sind. Für die künstlerische Konfrontation mit der geologischen Dauerausstellung „terra cognita“ wechselt er erstmals ins große Format
VON KATJA BEHRENS
Australische Kunst trifft auf die naturwissenschaftlichen Sammlung des Ruhrlandmuseums. Die Ausstellungsserie „Interventus Australis“ lädt australische Künstler dazu ein, ihre Werke in einem ungewohnten Kontext zu zeigen. Mit leiser Ironie kommentieren die Bilder Tony Clarks die Präsentationsbedingungen der permanenten Ausstellung: Der kleine Schaukasten beherbergt zwei seltsame, nie gesehene Gestalten. Wie bei den Zwitterwesen des Kölner Künstlers Thomas Grünfeld scheinen mehrere Gattungen zu einem neuen Wesen mutiert oder von findigen Forschern montiert zu sein. Die Modelle der Urzeitgestalten des cosesaurus aviceps hocken auf kleinen Ästen, unentschieden ob sie lieber als Echse oder Vogel durchgehen möchten – jedenfalls scheinen es freundliche Zeitgenossen gewesen zu sein. Zumindest im Blick auf die Rekonstruktionen der anderen urzeitlichen Tiere, die gleich nebenan ihr bedrohliches Antlitz zeigen. Indes, all die kleinen Freunde sind Fiktionen.
Und ebenso ist die Landschaft des neuen Hintergrundes eine Verschmelzung tatsächlicher und erdachter Wirklichkeit. Der Karton, der sich auf die gemalten Dioramen in älteren naturkundlichen Museen bezieht, vermittelt die Vergangenheit der Früh- mit derjenigen der Jetztzeit über viele Millionen Jahre hinweg. Die Zeche Phönix in Essen Kupferdreh, inzwischen selbst ein historisches Monument, und der mutmaßliche Lebensraum der re- und neukonstruierten Spezies werden in Rosa, Braun und Blau ineinander geblendet. Erschaffen wird so eine neue Wirklichkeit, die zumindest auf den ersten Blick harmlos und stimmig scheint. Ironie und historisches Bewusstsein treffen sich in den unscheinbaren künstlerischen Interventionen Tony Clarks. Sie spinnen die Erzählungen weiter, analysieren die Präsentationsstrukturen der naturkundlichen Sammlung und entwickeln eine subtile Didaktik.
Der australische Maler (geb. 1954 in Canberra) und documenta-Teilnehmer (1992) hat in den Vitrinen und zwischen den Exponaten der geologischen Dauerausstellung „terra cognita“ im Essener Ruhrlandmuseum Bilder installiert, deren Referenzpunkte nicht allein die vorzeitlichen Steine, Ammoniten und Knochen, sondern ebenso die Landschaftsbilder der Düsseldorfer Malerschule oder die naturhistorischen Forschungen Charles Darwins sind. Neandertal und Neandertaler, beide in ihrer ursprünglichen Gestalt längst verschwunden, haben doch Wege eines Weiterlebens gefunden: im homo sapiens und in der Kunst. Die knappen gemalten Kommentare und Eingriffe Tony Clarks stoßen nicht nur einen Dialog an zwischen den historischen Disziplinen und befragen die Bedingungen von Präsentation und Interpretation. Sie irritieren auch den Blick auf die vermeintlich eindeutigen Objekte jener Frühzeit, die oft nur noch von Spezialisten- Liebhabern oder Schulklassen aufgesucht wird. Doch wenn der Besucher um das Kunstprojekt in der Sammlung nicht weiß, könnte er nicht zur Kenntnis nehmen, was hier geschieht: Die Ironie könnte als naturwissenschaftliches Forschungsergebnis durchgehen.
Ruhrlandmuseum, EssenTony Clark: »Pseudotapeten«Bis 25. Juni 2006Info: 0201-8845200