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Von Äpfeln, Krähen und Riesenmammutbäumen

MENSCH UND WELT Die Reihe „Naturkunden“ im Verlag Matthes & Seitz Berlin bietet individuelle Perspektiven auf Tiere, Pflanzen, Landschaften. Gestaltet wird sie von der Autorin Judith Schalansky

VON TIM CASPAR BOEHME

Als Natur gilt nach einer groben Regel all das, was nicht von Menschen geschaffen wurde. Umgekehrt sind die Entdeckungen, Darstellungen und Beschreibungen dieser Natur – den Begriff der Natur eingeschlossen – zwangsläufig Menschenwerk. Das Kulturgut, von dieser Natur zu erzählen, ist hierzulande jedoch ein wenig aus der Mode geraten. Dabei kann der subjektiv geprägte Blick in die Natur, der Streifzug durch die Tier- oder Pflanzenwelt, mit ganz anderen Mitteln auf die „Welt“ neugierig machen als manch trockene Wissenschaftsprosa.

Dieser Einsicht folgt die Reihe Naturkunden, die der Verlag Matthes & Seitz in diesem Jahr gemeinsam mit der Schriftstellerin und Buchgestalterin Judith Schalansky eröffnet hat. Ausnahmslos schön sind die ersten Titel geworden, von den leicht derb anmutenden Buchdeckeln über die Auswahl der Typen bis zur Fadenheftung, die schon mal mit der Farbe des Einbands korrespondiert. Diese Bücher verweigern sich als Objekte entschlossen der Digitalisierung. Sie wollen in der Hand gehalten, ihr Papier unter den Fingern gespürt werden.

Krähenschießen

Den Auftakt der Reihe macht der taz-Autor Cord Riechelmann mit einem Band über „Krähen“. Anders als viele seiner Zeitgenossen gibt sich Riechelmann darin als Freund dieser Vögel zu erkennen: „Ich mag Krähen, ich mag, wie sie gehen, fliegen und sich anschreien“, so der studierte Philosoph und Biologe. In seinem „Porträt“ der Rabenvögel erfährt man neben naturgeschichtlichen Daten zahlreiche Anekdoten und persönliche Erinnerungen. Etwa, dass Riechelmanns Vater Jäger war und Krähen als „Raubzeug“ betrachtete, als Schädlinge, die es zu bekämpfen galt. Dazu war jedes Mittel recht, sogar „das Schießen in die Nester der Krähen von unten während der Aufzuchtszeit“, um den Nachwuchs gleich mit zu erlegen.

Riechelmann berichtet von der Intelligenz der Krähen, die den Menschen wohl vor allem deshalb Angst machen, weil sie die Nähe der vernunftbegabten Zweibeiner nicht scheuen. Sie scheinen zudem über einen gewissen Sinn für Humor zu verfügen. Elstern gehören genauso zu dieser Gattung. Dass sie „böse“ seien, weil sie manchmal anderen Vögeln die Eier wegfressen, sei ein hartnäckiges Vorurteil über diese Art, die in Städten immer häufiger anzutreffen ist, seltener wird sie hingegen auf dem Land.

Seltener werden ebenfalls die Gelegenheiten zum Staunen inmitten der von Menschen unberührten Landschaft, wie es in der angelsächsischen Tradition des nature writing verbreitet ist. Mit „Die Berge Kaliforniens“ des US-Amerikaners John Muir erscheint jetzt ein Klassiker des Genres aus dem Jahr 1894 zum ersten Mal in deutscher Übersetzung. Die Gewissenhaftigkeit, mit der sich Muir darin der Seen, Gletscher, Wälder oder Douglashörnchen in den Bergen der Sierra Nevada annimmt, ist allerdings nur scheinbar pedantisch.

Es ist mehr andächtige Bewunderung, die den Naturforscher, der sich früh schon als Naturschützer engagierte, alles festhalten lassen will, was sein Auge erblickt, nicht zuletzt, da er sieht, dass der Mensch den Fortbestand dieses Reichtums bedroht. Allein dem Riesenmammutbaum, dem „Waldkönig“, widmet Muir ganze 18 Seiten. Schwärmerei und gelegentliche Anthropomorphismen gehören fast selbstverständlich mit dazu, wenn zum Beispiel ein Wasserfall „im Chor“ singt oder Muir das „Blut der Pflanzen“ im Sonnenlicht pochen hört. Beeindruckend illustriert wird die Ausgabe durch die Fotografien des britischen Fototechnik-Pioniers Eadweard Muybridge.

Heilige rote Walze

Einen der wohl originellsten Naturkundler präsentiert das Buch „Äpfel und Birnen“, in dem das Gesamtwerk des „Apfelpfarrers“ Korbinian Aigner zu bestaunen ist. Neben seiner Arbeit als katholischer Priester betätigte sich Aigner unermüdlich als Obstzüchter und Pomologe. Er zeichnete Hunderte von Apfel- und Birnensorten, die er paarweise und auf postkartengroßen Papierstücken abbildete. Heute noch geläufige Apfelsorten wie Golden Delicious, Morgenduft oder Ingrid Marie sind bei Aigner in der Minderheit, dafür gibt es eine schier endlose Galerie von untergegangenem Kernobst mit so klingenden Namen wie „Rheinlands Ruhm“, „Eitel Fritz“ oder „Rote Walze“. Auch der einst von der Band Blumfeld besungene „Geheimrat Dr. Oldenburg“ fehlt nicht in Aigners Kollektion.

Natur wird bei Aigner exemplarisch auf zwei Pflanzengattungen reduziert, deren Vielfalt sich zugleich endlos auszudifferenzieren scheint. Faszinierend allein die unterschiedlichen Formen von Äpfeln, die zwischen Kugel, Kegel und Zylinder variieren. In der Leidenschaft Aigners für das Obst verbindet sich eine sehr konkrete Obsession mit den Widrigkeiten seiner Lebenssituation. So wurde in kirchlichen Vermerken schon mal beanstandet, Aigner, der dem Zölibat kritisch gegenüberstand, „schiele zu sehr nach dem Weiblichen“. Die Obstbilder können da eine Kompensationsfunktion übernommen haben. Immerhin: Unter Aigners Darstellungen findet sich eine „Pastorenbirne“, von Apfelsorten wie „Kardinal Graf Galen“ oder „Roter Kardinal“ ganz zu schweigen.

Man kann nur wünschen, dass diese Reihe lange fortgesetzt wird. Soeben erschienen drei weitere Bände über „Esel“, „Insektopädie“ und ein „Kurzer Bericht von der Unermesslichkeit der Welt“. Später im Herbst steht dann ein großer Bildband über „Die verlorenen Welten des Zdenek Burian“ an, der sich den Zeichnungen von Sauriern und anderen prähistorischen Tieren widmet, mit denen der tschechische Grafiker Burian einer jahrmillionenalten Lebenswelt sichtbare Gestalt verlieh – ohne die technische Hilfe von Computersimulationen.

Bisher erschienen: Korbinian Aigner: „Äpfel und Birnen“. 512 S., 98 Euro; Jürgen Goldstein: „Die Entdeckung der Natur“. 310 S., 38 Euro; John Muir: „Die Berge Kaliforniens“. Aus dem Englischen von J. Brôcan. 352 S., 34 Euro; Cord Riechelmann: „Krähen“, 155 S., 18 Euro; Jutta Person: „Esel“, 144 S., 18 Euro; Hugh Raffles: „Insektopädie“. Aus dem Englischen von Th. Schestag. 380 S., 38 Euro; Sylvain Tesson: „Kurzer Bericht von der Unermesslichkeit der Welt“, 144 S., 20 Euro. Alle Matthes & Seitz, Berlin

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