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Archiv-Artikel

Ist der Strom-Blackout Panikmache?

DÜSTER Die Energiekonzerne bangen um ihre konventionellen Kraftwerke – und prognostizieren einen Engpass. Gehen jetzt die Lichter aus?

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JA

Peter Terium, 50, ist seit 2012 Vorstandsvorsitzender des Energiekonzerns RWE AG

Deutschland droht kein Blackout. Nicht in diesem Winter und auch nicht im nächsten Winter. Zumal Netz- und Kraftwerksbetreiber alles tun, um Stromausfälle zu verhindern. Aber wir stellen heute die Weichen für die Zukunft. Denn solange es keine Stromspeicher gibt, müssen wir den wachsenden Anteil erneuerbarer Energien durch konventionelle Kraftwerke absichern. Am besten mit modernen Gas- und Kohlekraftwerken, die ihre Produktion schnell hoch- und runterfahren können. Zusätzlich müssen wir angesichts der angekündigten Kraftwerksschließungen in ganz Europa in den kommenden Jahren zwei Dinge tun: zum einen exakt und ehrlich kalkulieren, wie viel konventionelle Kapazitäten wir brauchen und ihren Beitrag zur Versorgungssicherheit auch vergüten; zum anderen den Netzausbau zügig vorantreiben, damit wir den erneuerbaren Strom dorthin liefern können, wo er gebraucht wird. Damit werden die Verteilnetze von Einbahn- zu Bundesstraßen und können die dezentralen Anlagen integrieren.

Felix Finkbeiner, 16, ist Botschafter für Klimagerechtigkeit von Plant-for-the-Planet

Die Jugend der Welt schaut voller Hoffnung auf Deutschland. Wenn wir die Energiewende schaffen, hat kein Land der Welt mehr eine Ausrede. Die Bürger wollen die Energiewende. Sie birgt große Chancen, könnte ein Exportschlager werden und viele Arbeitsplätze schaffen. Was aber machen die Energiekonzerne? Sie erpressen uns, sie erpressen die Politik mit Blackout-Szenarien. Wenn wir das Wort Energiewende hören, denken wir inzwischen an „teuer“, „schwierig“, „geht nicht“. Die Konzerne und Lobbyisten erzielen so einen kurzfristigen Erfolg, tatsächlich aber verschlafen sie eine große Geschäftschance, das nennt man wohl einen Pyrrhussieg. Mit der Verhinderung der Energiewende zerstören sie unsere Zukunft, und das nennt man dann wohl ein Verbrechen.

Claudia Kemfert, 44, forscht am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung

Eindeutig ist die Warnung vor permanenten Strom-Blackouts reine Panikmache. Sie ist im Übrigen nicht neu, seit Jahrzehnten warnen Stromkonzerne davor. Neu ist allerdings die Begründung, die Energiewende sei nun schuld. Doch die Warnung ist unbegründet: Unsere Netze sind mit die sichersten weltweit, wir haben sogar zu viel statt zu wenig Strom! Daher wollen einige Stromkonzerne Kraftwerke abschalten. Wir können aber unbesorgt sein: Wir sind auf Extremsituationen vorbereitet, da wir uns mittlerweile auf schwankende erneuerbare Energien eingestellt haben. Hinter der Warnung vor Blackouts verbirgt sich übrigens der Erpressungsversuch, Subventionen für unrentable Kraftwerke zu erzwingen.

Jochen Homann, 60, ist seit März 2012 Präsident der Bundesnetzagentur in Bonn

Ich bin sehr zuversichtlich, dass es keinen Blackout geben wird, denn wir haben zusammen mit den Übertragungsnetzbetreibern ein Höchstmaß an Vorsorge getroffen. Für den kommenden Winter stehen ausreichend Kraftwerksreserven bereit, um auch in extremen Wetterlagen das unter Stress stehende Stromnetz stabil zu halten. Dessen ungeachtet habe ich Verständnis für die Sorgen konventioneller Kraftwerksbetreiber, die ihre Anlagen unter dem Druck zunehmender Erzeugung von Strom aus Wind und Sonne nicht wirtschaftlich betreiben können, obwohl diese auch künftig gebraucht werden. Dies ist allerdings keine Frage der aktuellen Versorgungssicherheit, sondern des zukünftigen Strommarktdesigns. Der Ausweg in eine neue Subvention wäre ein Irrweg.

Nein

Herbert Saurugg, 40, startete die Präventionsinitiative „Plötzlich Blackout!“

Ob die aktuellen Warnungen vor Blackouts aufgrund der Energiewende eine Panikmache sind oder nicht, ist eine Sache. Die damit verbundenen Konsequenzen sind eine andere. Aus systemischer Sicht spricht viel dafür, dass die unsystemischen Eingriffe in das europäische Stromversorgungssystem in den vergangenen 10 bis 15 Jahren zu einer sehr realen Blackout-Gefahr geführt haben. In unserer hochvernetzten Welt wäre ein solches Szenario mit kaum vorstellbaren Konsequenzen verbunden, nämlich mit einem Kollaps fast der gesamten kritischen Infrastruktur. Auch wenn die Stromversorgung nach ein paar Stunden wiederhergestellt werden kann: Die Folgewirkungen in den anderen Infrastrukturbereichen sind damit noch lange nicht behoben. Besonders schwerwiegend wäre die europäische Lebensmittelversorgung davon betroffen, da diese nur mehr hochsynchronisiert funktioniert. Unsere Gesellschaft ist auf ein solches extrem seltenes Ereignis, das aber fatale Folgen haben könnte, falls es eintritt („Schwarzer Schwan“), nicht vorbereitet.

Wolfram Geier, 53, vom Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe

Das Risiko für einen Blackout ist gewachsen, und es wird meiner Meinung nach weiter steigen. Die Gründe sehe ich in der europaweiten Liberalisierung und wettbewerbsorientierten Ökonomisierung der Elektrizitätsbranche, im Netzumbau sowie in der hohen System-, Prozess- und Technikkomplexität. Unsere Gesellschaft befindet sich in einer ungeheuren, selbst erzeugten Abhängigkeit vom elektrischen Strom: Alle privaten wie öffentlichen Lebensbereiche hängen am Kabel. Bereits kleine Ursachen für Störungen können enorme Folgen haben. Individuelle und gesamtgesellschaftliche Vorsorge halte ich für unverzichtbar. Deshalb plädiere ich neben präventiven Maßnahmen für die gezielte Vorbereitung auf und den professionellen Umgang mit solchen Ereignissen.

Thomas Leitert, 46, ist taz-Leser und Vorstandsvorsitzender der Time Kontor AG

Das Problem ist nicht nur, dass wir unser gesamtes Leben von der Stromversorgung abhängig gemacht haben, sondern auch, dass alle kritische Infrastrukturen – etwa Finanzen, Kommunikation, Transport und Notfallsysteme – auf Strom angewiesen sind. Ein einwöchiger Blackout in Deutschland, und wir befinden uns im Mittelalter mit vielen Toten und bestimmt einigen Milliarden Euro Verlust, allein durch Produktionsausfälle. Das Leben, so wie wir es heute kennen, wird dann auf ziemlich lange Zeit nicht mehr möglich sein. Ohne viel Aufwand könnten ein paar motivierte Leute mit den richtigen Kenntnissen in Deutschland das Licht ausschalten.

Christoph von der Heiden, 54, Geschäftsführer IHK Ostwestfalen zu Bielefeld

Nein. Panikmache wäre auch eine falsche Strategie bei einem so sensiblen Thema. Ein sorgfältiger Umgang mit der Gefahr des Blackouts ist jedoch unumgänglich. Denn die ununterbrochene Versorgungssicherheit ist für viele Industriebetriebe und das Gesundheitssystem von existenzieller Bedeutung. Stromausfälle können an Produktionsanlagen zu irreparablen Schäden führen. Eine stabile Stromversorgung ist ein nicht zu unterschätzender Wettbewerbsvorteil für die deutsche Wirtschaft. Die Sorge um die Versorgungssicherheit darf aber nicht dazu führen, dass der Wettbewerb auf dem Strommarkt ausgehebelt und den Investoren jegliches Risiko abgenommen wird. Das gilt gleichermaßen für konventionelle Kraftwerke, erneuerbare Energien, Netze und Speicher.