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Archiv-Artikel

Den Laden zusammenhalten

Am Ende der Vorstandswahlen konnten sich die Gewerkschaftschefs schließlich durchsetzen. Geschwächt sind sie dennoch

AUS BERLINULRIKE WINKELMANN

„Es ist“, sagt Ursula Engelen-Kefer, „einer der schwersten Momente in meinem Leben.“ Doch genau auf diesen Moment hat die stellvertretende Chefin des Deutschen Gewerkschaftsbundes nun seit fast einem halben Jahr hingearbeitet. Denn soeben hat der IG-Metaller Reinhard Böckl sie den Delegierten des Bundeskongresses auch als künftige Vize vorgeschlagen. Damit kann Engelen-Kefer kandidieren, und das, sagt sie, will sie gerne tun. „Ich wollte“, sagt sie, „immer weitermachen.“

Sie wird es nicht. Die Ära Engelen-Kefer ist vorbei. Nur 43 Prozent der fast 400 Gewerkschaftsdelegierten gaben gestern im Saal des Kongresshotels Estrel in Berlin-Neukölln ihrer lang gedienten Vizechefin die Stimme. Ingrid Sehrbrock, die 57-jährige CDU-Frau und Bildungspolitikerin im DGB, wird neue Stellvertreterin des DGB-Chefs Michael Sommer. Knappe 57 Prozent erringt Sehrbrock, ein schlechtes Ergebnis auch für eine ohnehin blasse Kandidatin. Aber genug, um Engelen-Kefer, seit 16 Jahren öffentlich wie intern gehasste und gefürchtete, immer kompetente Stimme und Gesicht der gewerkschaftlichen Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik, zu kippen.

Der Plan der Gewerkschaftsbosse Michael Sommer, Frank Bsirske von Ver.di und Jürgen Peters von der IG Metall ist aufgegangen. Im November hatten ihr die Gewerkschaftsgranden eröffnet, sie solle gehen. Offizieller Grund: zu alt. Die Gewerkschaften könnten nicht gegen die Rente mit 67 kämpfen und eine 62-Jährige wieder ins Amt heben.

Dass dies bislang durchaus üblich war, dass es auch üblich ist, Repräsentanten bei Erreichen der Altersgrenze auch mitten in einer Amtsperiode auszuwechseln, zählte nicht. Anfang Dezember hat Engelen-Kefer geantwortet, dann werde sie wohl nicht mehr antreten, so gab sie selbst gestern zu. Doch gleichzeitig fand sie Unterstützung etwa bei Ver.di, aber auch bei vielen Akteuren der Sozialpolitik, und begann zu streuen, sie halte sich die Kandidatur offen. Die Gewerkschaftschefs nahmen’s übel, und zum Altersargument kam der Vorwurf von Verrat und rein taktischer Unberechenbarkeit.

Noch gestern früh, vor den Wahlen, erklärte Engelen-Kefer intern dem Präsidium, sie wolle nicht kandidieren – bis dann, kaum zwei Stunden später im Saal, ausgerechnet ein IG-Metaller sie vorschlug. Dabei verbreiteten doch gerade die Metaller die ganze Zeit, sie stünden wie eine Eins hinter ihrem Boss Peters. Bei den Unzufriedenen von Ver.di, die keinen so schönen Tarifabschluss hinbekommen haben wie die IG Metall, und bei der Erziehungsgewerkschaft GEW säßen die Wackelkandidaten.

„Der wird nix mehr“, knurrt so auch Björn Böhning, hauptsächlich Juso-Vorsitzender, aber Berufs-Metaller, nachdem der Delegierte Böckl sich aus Gründen der „Glaubwürdigkeit und Ehrlichkeit“ für Engelen-Kefer ausgesprochen hat.

Zwei Meter hinter Böhning erregen sich zwei Gewerkschafter über den Ehemann Engelen-Kefers, den ehemaligen Handelsblatt-Redakteur Klaus Engelen, der bis zur letzten Minute für seine Gattin Werbung macht und gerade mitten im Saal eine kleine Spontan-Pressekonferenz gibt. „Einfach rauswerfen“ ist der nettere Vorschlag, den sie erwägen.

Nur kurz steht die Wolke erleichtert ausgeatmeter Luft im Saal, nachdem das Ergebnis gegen Engelen-Kefer, für Sehrbrock bekannt gegeben wird: 161 zu 212 Stimmen. Schon am flauen Applaus, dem folgenden Schweigen ist zu erkennen, wie verunsichert vom Intrigenspiel die Basis ist. Vielen ist morgens schon der Chef der Ernährungsgewerkschaft NGG Franz-Josef Möllenberg mit seiner albernen Rede aufgestoßen. Möllenberg sprach vor allem davon, dass der wieder als Chef kandidierende 54-jährige Michael Sommer „frisch“ und „jung an Jahren“ sei. Zu Engelen-Kefer sagte er: „Man sieht es ihr nicht an, aber sie ist zurzeit 62 und wird nächsten Monat 63.“

Schon Sommer wird bloß mit schwachen 78 Prozent wieder ins Amt gehievt und verspricht etwas dünnlippig, er werde „alles daran setzen, den Laden zusammenzuhalten“.

Einen echten Tritt gegen das Schienbein aber versetzen die später Delegierten ihren Bossen, indem sie nach den Wahlen von Chef und Vize das so sorgsam geschnürte Dreierbündel, das den fünfköpfigen Bundesvorstand des DGB auffüllen soll, erst einmal platzen lassen: Der Büroleiter von IG-Metall-Peters, Claus Matecki, rasselt im ersten Wahlgang durch, schafft es aber im zweiten Wahlgang. „Eiserne Organisationsdisziplin“ ist das Wichtigste, was ihm von Freunden respektvoll, von Gegnern verächtlich nachgesagt wird.

Sofort gewählt wird dagegen der Mitbestimmungs-Experte Dietmar Hexel, und, mit fast 79 Prozent und also dem besten Ergebnis des Tages, die Sozialpolitikerin von der Baugewerkschaft IG BAU, Annelie Buntenbach. Buntenbach, ehemalige Setzerin, saß bis 2002 acht Jahre lang für die Grünen im Bundestag und scheiterte dort als linke Arbeitsmarktexpertin und Kriegsgegnerin schließlich am Regierungskurs ihrer Partei.

Die 51-Jährige soll im neuen Vorstand das Ressort Sozialpolitik von Engelen-Kefer erben – wird aber den wichtigen Bereich Arbeitsmarkt nicht dazubekommen. Ob sie also im inhaltlichen Kerngeschäft des DGB – für Tarifpolitik sind die Einzelgewerkschaften zuständig – so viel Einfluss erringen wird wie Engelen-Kefer, halten selbst ihre Unterstützer für zweifelhaft. Sicherlich aber dürfte sie zu Arbeit und Sozialem mehr zu sagen haben als die neue Vize Sehrbrock.

Engelen-Kefer erklärt, schon wieder lächelnd, später der Presse, sie sei „im Reinen“ mit sich, denn sie sei aus Verpflichtung gegenüber denen angetreten, die sie zur Kandidatur bewogen haben. Doch sehe die Demokratie eben auch Niederlagen vor. „Es war ein selbst gewählter Abgang“, sagt sie. Sie interessiere sich nun für internationale Sozialpolitik „im universitären Bereich“, Aber „erst einmal werde ich mein Büro aufräumen“.