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Archiv-Artikel

„Der Unterschied zum Punk“

ALTER WILDER Der Künstler Albert Oehlen war „frühunreif“ und mischte so den Kunstbetrieb auf

Im Moment empfinde ich es als Befreiung, dass ich den Computer nicht mehr benutzen muss
Albert Oehlen

■ Wanderer: geb. 1954 in Krefeld, lebt ab 1977 in Hamburg. 1988 Umzug nach Spanien. Seit 2000 in St. Gallen/CH. Verheiratet, 3 Kinder.

■ Künstler: Ausstellungsdebüt 1976 in Düsseldorf. Freundschaft mit Werner Büttner und Martin Kippenberger. Aktuelle Ausstellung: bis 22. 8. im Emil-Schumacher-Museum in Hagen.

■ Musikliebhaber: Gestaltet Plattencover für Palais Schaumburg. Führt das Label Leiterwagen Records. Spielt mit seinem Bruder Markus als Van Oehlen.

INTERVIEW JULIAN WEBER

Man durchlief sieben Gruppen, eine radikaler als die davor – Immendorff hatte immer die Initiative

taz: Herr Oehlen, Ihre Kunst ist immer abstrakter geworden, weg aus dem Gegenständlichen ihrer Anfangstage, warum?Albert Oehlen: Ja, das ist so. Wobei ich in meiner Haltung keinen Bruch zu früher sehe. In die frühen Bilder ab 1981 kam Ironie rein, weil ich gar nicht anders konnte. Ich habe eine Distanz zur Gegenständlichkeit gehabt, zu der Aufforderung, damit etwas zu meinen. 1982 habe ich dann Spiegelbilder gemacht, da wird die Tiefenwirkung, das Gegenständliche an dem Raum schon ad absurdum geführt mit den Spiegeln. In der Beziehung habe ich immer Quatsch mit meinen Motiven gemacht und hatte damals auch immer im Kopf, mal ein richtiger abstrakter Maler zu sein. Ich habe immer auf den Moment gewartet, wo ich das mal umsetzen werde, und 1988 in Spanien habe ich dann das erste abstrakte Bild gemacht. Hatte das mit ihrem Erfolg als Künstler zu tun? Erfolg stimmt insofern, als ich von Anfang an machen durfte, was ich wollte. Ich hab ein paar Jahre gekellnert, aber ich kann mich nicht erinnern, jemals Hungerkünstler gewesen zu sein. Ich konnte immer ausstellen, seit dem Moment, als ich die Akademie verlassen habe. Das muss man klar sagen: das ist Erfolg. Aber ich finde es ungenau, wenn es so dargestellt wird, als hätten meine Künstlerfreunde und ich Ende 70er den Ton angegeben. Man nannte die Malerei, mit der sie damals bekannt wurden, „Neue Wilde“. Neue wilde, heftige Malerei, das bezog sich erst mal auf die Berliner. Die Moritzplatz-Leute. Zu denen gab es immer ein bisschen Distanz, obwohl ich die, die ich kannte, nett fand. Distanz, nicht über die Bewertung ihrer Sachen. Man wollte einfach nicht so malen wie die. Meine Sache ist unabhängig davon entstanden. Ich war auf was anderes aus. Es gab aber viele Gruppenausstellungen, auf unterschiedlichen Niveaus, und da wurde alles über einen Kamm geschoren. Da wurde man dann auch unter „Wilde Malerei“ einsortiert. Warum sind die Werke der „Neuen Wilden“ primitiver als das, was vorher en vogue war? Es wird immer so dargestellt, als hätte sich „meine Generation“ gegen Konzeptkunst und so weiter gewandt. Für mich und meine Freunde trifft das nicht zu. Das, von dem man umgeben war, in den späten 70ern, das kann man in alten Kunstmagazinen nachprüfen, das war meistens nicht die Avantgarde, sondern oft schlechte Kunst. Und zwar hauptsächlich Malerei. So Rot-schwarz-Malerei, sehr viel Körperzeugs und natürlich auch rostige Eisenskulpturen. Eine Mode in den Akademien war auch, Sachen an die Wand lehnen und am Boden Pigment rumstreuen. Können Sie die Konfliktlinien erläutern, die es Anfang der Achtziger gab? Die Abgrenzung zur vorigen Generation bezog sich hauptsächlich auf Künstler, die wir nicht gut fanden, die aber damals groß waren. Gegen Polke und Beuys hatten wir nichts. Wir waren zwar zu jung für die 1968er, aber ich weiß nicht, ob wir etwas frühreif oder besser frühunreif waren. Auch wenn wir zu spät kamen, ist für uns 1968 dennoch das Großereignis gewesen, und man war im Bann dieser Revolution. Hauptsächlich durch die Musik, aber auch durch die Ideen. Soziale Plastik? Das is auch so’n Wort. Aber ich meine eher dieses paranoide Alles-miteinander-Verknüpfen, das mag es vielleicht auch vorher bereits gegeben haben, aber nicht so in dieser weltumspannenden Massenbewegung, also dass es in jeder WG praktiziert wird. Ältere Freunde haben uns davon erzählt und wir haben das dann auch selber betrieben. Und dann dieses Gefühl, dass man nicht ausschließt, dass in naher Zukunft etwas Revolutionäres geschehen könnte, habe ich noch empfunden. Das ist heute nicht mehr vermittelbar. Hatten Sie in den Siebzigern Verbindungen zur Gegenkultur? Der Begriff Szene ist zu hochgegriffen. Mein Bruder Markus und Walter Dahn wohnten Mitte der Siebziger in Krefeld. Da hat man über Kunst diskutiert. Beuys, Warhol, Polke waren die Idole. Noch früher, 1972, war ich so ein bisschen in der linksextremen Angelegenheit zugange. Durch Jörg Immendorff machte ich eine Lehre in Düsseldorf. Wenn man wie ich mit 16, 17 agitiert wird, erscheint einem alles logisch und konsequent. Andererseits konnte ich durch Selbstbeobachtung auch feststellen, dass ich in etwas reingetrieben wurde. Der Immendorff war immer die treibende Kraft. Es entwickelte sich aus seinen Lidl-Aktionen und ging über in die Mietersolidarität. Das waren noch schräge und spontihafte Aktionen. Später sollte man „Klassiker“ lesen. Man durchlief sieben Gruppen, und eine war radikaler als die davor. Und immer hatte Immendorff die Initiative. Ich habe gemerkt, dass die ganze Gruppe nur was macht, wenn er das Zeichen gibt. Punk gilt als die Befreiung aus dieser Orthodoxie, wie wichtig war Musik, als sie Ende der Siebziger auf der Hamburger Kunstakademie waren? Nicht Punk war die Befreiung, ich selbst habe Abstand davon genommen. 1977 bin ich nach Hamburg und habe im Karolinenviertel eine bezahlbare Wohnung gefunden. In Fußweite zur Markstube, damals Treffpunkt von Kunst- und Musikszene und „Buchhandlung Welt“, ebenso ein wichtiger Treffpunkt. Es gab dort Ausstellungen von Wandgemälden. Dieter Roth hat eins gemacht und Leute wie wir auch. Welche Rolle hat die Musik in Ihrer Kunst gespielt? Als es in Deutschland 1978/79 mit Punk losging, gab es in England schon weit interessantere Sachen. Wir haben Punkrock also nicht erfunden. Ich habe mich schon damals mehr für abweichende Sachen interessiert: Gang of Four und Wire. Und dann hat man noch „Agartha“ (von Miles Davis) gehört und „Pangeda“ und den Reggae von U Roy und noch lieber I Roy. In meiner Nachbarschaft wohnte Holger Hiller, damals noch vor Palais Schaumburg, was auch ein Glücksfall war, weil er ein toller Musiker ist und ein lustiger Kerl. Dann war ich auch mit Diedrich Diederichsen befreundet und wurde von ihm ständig mit Musik konfrontiert. Was war in der Kunst die Entsprechung zu Punk? Unsere Malerei war ziemlich übel. Wir haben praktisch auf dem Buckel der Kunstwelt malen gelernt. Allerdings wollten wir in die heiligen Hallen der Kunstgeschichte. Das ist der Unterschied zum Punk. Die Entsprechung zum Punk über Schwung und Lebensgefühl und Aggression, die gab es mehr bei den Berlinern. Bei mir kann ich sagen, dass es ein bisschen vertrackter ist. Ich habe nie versucht, ein Lebensgefühl auszudrücken oder das meiner Generation. Was steckt denn für eine Geisteshaltung hinter ihrem Gemälde aus dem Jahre1982 „Geh zu dem Berg, wo die Motorradfahrer üben“? Bei dem Bild ist sichtbar, dass ich stark von Immendorff und Sigmar Polke beeinflusst war, was eigentlich gar nicht zusammengeht. Weil es zwei konträre Positionen sind, aber es meint den frühen Immendorff, wo er auch noch Pop war. Allein das Format und die Farben entsprechen genau dem, wo die beiden relativ ähnliche Sachen gemacht haben. Eines meiner Anliegen damals war, ein besonders unmögliches Motiv zu finden. Außerdem hat ein Gemälde normalerweise eine gewisse Diskretion und verlangt nicht etwas von einem. Und schon gar nicht sagt es einem das ins Gesicht. Bis dahin, was man sich so unter politischen Bildern vorgestellt hat, dachte man an Gustave Courbet oder später Otto Dix und George Grosz. Auch die haben einem ja nicht gesagt, was man tun sollte. Das hat aber der Immendorff gemacht. Das finde ich „das Revolutionäre“ an seiner Kunst, dass der das Bild zum Transportmittel für direkte Aufforderungen erniedrigt hat. Die musste man wörtlich nehmen. „Unterstützt das Vietnam-Komitee“. Vielleicht wollte ich dasselbe und habe es aus Versehen ironisch gemacht. Durch Punkrock kamen ab 1976 auch viele Frauen zum Zug. Wie sah das in der Sphäre der Kunst aus? Es gab Frauen: Claudia Schifferle, Elvira Bach. Kunst verlangt heute insgesamt eine andere Meisterschaft als früher. Man muss vor allem das können, was man sich vorgenommen und behauptet hat. Vielleicht wurde das damals durchgesetzt. In den Neunzigern haben Sie Kunst am Computer erschaffen. Man hat am Computer beschränkte Möglichkeiten, obwohl er unendliche Variationen zulässt. Damit umreißen Sie, was mich daran interessiert hat. 1991 hatte ich mir einen Laptop gekauft. Weil die ersten Ausdrucke der Zeichnungen unendlich primitiv aussahen, brauchten sie noch die menschliche Hand zum Nachbearbeiten. Diese Pixel sind authentisch, das ging damals nicht besser. Da war einerseits der im Wort Computerkunst anklingende Anspruch, übermenschliche Sachen zu machen. Auf der anderen Seite ist das Ding in der Entwicklung und man selbst auch, weil man den Computer zu handhaben lernen muss. Da hatte ich das Gefühl, dass das spannend sein könnte. Dass man praktisch durch die Unvollkommenheit ganz fest in der Zeit sitzt. Also dass das Bild auch später absolut als 1991 lesbar ist, weil ihm bestimmte Computerprogramme zugrunde liegen. Empfinden Sie es jetzt als eine Befreiung, mit Graphit auf Papier zu arbeiten, wie beispielsweise für Ihren neuen Bildband? Im Moment empfinde ich es als Befreiung, dass ich den Computer nicht mehr benutzen muss. Aber auch der Weg zu Graphit war mühsam, weil daran der Flair von schmutzigem Künstleratelier und schmutziger Akademie klebt. Sich davon frei zu machen, kann schon mal zwei Jahrzehnte dauern. Also bei mir hat’s so lang gedauert. Ich habe bei Ihren neuen Zeichnungen eher den Eindruck von chirurgischer Präzision. Das ist eine gute Assoziation. Es sind völlig artifizielle, teils mit Hilfsmitteln hingesetzte Linien, ausgedachte Kurven. Das Ganze völlig an den Haaren herbeigezogen, und nicht, was es auf den ersten Blick zu sein scheint: Nämlich expressive aus dem Ärmel geschüttelte Kringel. Kann man als Künstler in Würde altern? Das kann man als Künstler besser als als Popstar. Da gibt’s ja genug Beispiele. Auf jeden Fall.

Albert Oehlen & Rainald Goetz: „Abstract Reality“ (Zeichnungen und Gedichte). Holzwarth Publications, Berlin, 2010, 36 S., 35 Euro