Schwierige Mission

Benedikt XVI. ist zu Besuch in Polen eingetroffen. Die viertägige Visite steht ganz im Zeichen seines Vorgängers

WARSCHAU taz ■ „Die Chemie ist eine andere“, drückte es die Fernsehmoderatorin der Papstvisite im polnischen Privatsender TVN24 höflich aus. Die Zuschauer wussten, was gemeint war. Wenn Papst Johannes Paul II. „nach Hause“ kam, jubelten ihm die Gläubigen wie eine große Familie zu. Karol Wojtyła kehrte wie ein Sohn heim, der es in der Welt zu etwas gebracht hatte.

Benedikt XVI. ist ein Deutscher. Umfragen zufolge spielt die Nationalität Josef Ratzingers für die meisten Polen keine große Rolle, doch in den Kommentaren wird immer wieder auf das Dritte Reich und den Zweiten Weltkrieg verwiesen. Der permanente Vergleich zwischen dem Polen und dem Deutschen auf dem Stuhl Petri scheint die viertägige Visite Benedikts XVI. in Polen zu bestimmen.

„Warschau wartet wie auf seinen Papst“ titelte die liberale Gazeta Wyborcza, „Auf den Spuren den polnischen Papstes“ die konservative Rzeczpospolita und „Willkommen im Hause Johannes Paul II.“ das Boulevardblatt Superexpress.

Benedikt XVI. kennt Polen gut. Er begleitete Johannes Paul II. mehrfach auf seinen Reisen, auch bei dessen erstem Besuch im kommunistisch regierten Polen 1979. Damals gab Johannes Paul II. mit dem Satz „Fürchtet euch nicht! Möge der heilige Geist diese Welt verändern!“ die Initialzündung zur Gründung der Freiheits- und Gewerkschaftsbewegung Solidarność.

Nun wird Papst Benedikt XVI. wie sein Vorgänger seine erste große Messe in Warschau auf dem Pilsudski-Platz halten. Die gesellschaftliche Stimmung damals lässt sich vergleichen mit der heutigen. 1979 waren die Polen enttäuscht von der Unreformierbarkeit des Systems. Heute sind sie enttäuscht von den politischen Parteien. Korruption beherrscht das Land, Missgunst und das Gefühl, moralisch in einem Sumpf zu versinken.

Denn auch auf die katholische Kirche in Polen scheint kein Verlass mehr zu sein. Moralische Autoritäten entpuppen sich als Geheimdienstmitarbeiter, Dorfpriester als Pädophile, Radiopriester als politische Strippenzieher und Antisemiten.

Vielen Polen fehlt eine klare Richtlinie: „Was ist heutzutage gut, was schlecht?“ Viele hoffen, dass der neue Papst auf dem Pilsudski-Platz das „Fürchtet euch nicht!“ Johannes Paul II. von 1979 wiederholen, aber mit neuem Inhalt füllen wird. Dabei bleibt allerdings ein tiefer Zweifel: „Kann uns ein Deutscher, auch wenn er Papst ist, etwas über Moral erzählen?“ GABRIELE LESSER