: Der kleinste gemeinsame Nenner
PLAUDERN Zwei Berliner laden Menschen aus demselben Kiez ein, die auf einem Sofa sitzend von sich erzählen
Die Idee ist simpel und gut: Man stellt ein Sofa an einen öffentlichen Ort und lädt Gäste ein, deren einziger gemeinsamer Nenner der gleiche Stadtteil ist, in dem sie leben. Am Montagabend fand in Friedrichshain die erste Runde des „Kiezsofas“ statt, einer „lokalen Talkshow“. In der Kneipe Pri Maria am Boxhagener Platz drängten sich etwa 60 Gäste, vorwiegend im Studentenalter, um zu erfahren, wer denn so in der eigenen Nachbarschaft wohnt.
Die Veranstalter, die 26 Jahre alte Journalistin Nadine Kleifges und der 35 Jahre alte Sachbuchautor Simon Akstinat, saßen auf einem monströsen beigefarbenen Sofa aus den 1970er Jahren, das auf zwei Holzpaletten stand und zur Bühne wurde. Ausgewählt wurden die Gäste, auf die das Veranstalterduo durch seine Arbeit aufmerksam geworden war, nach eigenem Interesse.
Gast Nummer eins: Moe Büttner, ein sympathischer junger Mann mit lockigem Haar und Vollbart. Er sah so überhaupt nicht nach dem „Afghanistan-Veteranen“ aus, als der er angekündigt wurde. Mit beeindruckender Offenheit erzählte Büttner, wie er sich früher von „rechter Musik den Kopf“ hatte waschen lassen, sich bei der Bundeswehr verpflichtet und einige Monate Warmlufterzeuger in Afghanistan gewartet hatte. Ausgerechnet ein Typ, der für ihn „den idealen Arier“ verkörperte, aber der linken Skinhead- und Punkszene angehörte, habe ihn da rausgeholt. „Heute bekenne ich mich absolut zur linken Szene“, sagte er. Er ist Veganer, macht eine Ausbildung zum Erzieher und sammelt Kleiderspenden für Obdachlose. Nach der Frage aus dem Publikum, wo man etwas abgeben könne, nannte er bereitwillig seine Adresse, und das „Kiezsofa“ wurde zur Kontaktbörse.
„Das kleine Arschloch“
Gast Nummer zwei war Wolfgang Hörner, Verleger vom Galiani Verlag, der vorher beim Eichhorn Verlag war. Das sagte dem jungen Publikum vielleicht nicht so viel, doch mit dem Stichwort „Das kleine Arschloch“, den bei Eichborn erschienenen Comics, konnten die meisten etwas anfangen. Im unaufgeregten Plauderton erzählte Hörner über seine Leidenschaft für Bücher, seine Herkunft aus dem Hohenlohischen und seine Freude, auf dem samstäglichen Markt auf dem Boxhagener Platz Hohenloher Landfleisch zu bekommen.
Der dritte Gast war eine Frau, die auf den ersten Blick so überhaupt nicht nach Friedrichshain passt: Micaela Schäfer, bekannt durch Schönheitsoperationen und der Teilnahme am „Dschungelcamp“. Ein Pflaster auf ihrer 30-jährigen Nase zeugte von der letzten OP, ebenso das Foto auf der Leinwand, auf dem ihre Brüste samt Narben zu sehen waren. „Ich hatte eine große Nase und einen kleinen Busen“, erzählte Schäfer, die in Jeans und ziemlich geschlossener Bluse sehr normal aussah.
Das erste Mal ließ sie sich mit 16 operieren und zahlte mit dem Geld, das für den Führerschein gedacht war. „Den mache ich jetzt“, fügte sie hinzu. Sie habe zwar „einen Fetisch zur Nacktheit“, führe aber „ein ganz normales Leben“ – und freue sich, in Friedrichshain „alles zu haben“, „Fitnessstudio und Kaiser’s“. Als sie verkündete, sie würde „gern einen Weltnackttag einführen“, fanden sich sogleich Interessenten im Publikum, von denen eine Frau betonte, dass es „egal ist, wie wir aussehen“. BARBARA BOLLWAHN