: Stille Tage im Grün
Betriebswirtschaftlich betrachtet ist die „botanika“ zu ruhig – das wird sich auch durch Zierfischbesatz und Reptilienschauen nicht nachhaltig ändern lassen. Wäre aber auch schade – schließlich ist die Ruhe Voraussetzung dafür, dass sich die Entdeckungen im „Entdeckerzentrum“ auch einprägen
von Benno Schirrmeister
Die Besucherin ist nicht vorbelastet. Das verrät ihr bajuwarisch-kehliger Akzent. Sie kann das lokalbremische Hickhack kaum mitbekommen haben, um die Eintrittspreise für den Rhododendronpark, mit denen angeblich die „botanika“ hätte quersubventioniert werden sollen, und die dann doch nicht erhoben worden sind, weil in letzter Minute… Ja, und dann hieß es immer, die „botanika“, dieser Schuft, ist schuld an allem übel. Und das hat sich über heldische Senatorenrettungstaten hinaus und bis hin weit in den Mai gehalten: Das Millionengrab. Die verfehlten Prognosen. Der grüne Space-Park.
Das ist natürlich nicht ganz falsch, auch wenn grüner Space-Park ziemlich fies ist. Aber: Ein Newcomer, der den traditionsreichen Rhodo-Park in der Eigenwerbung als „das schöne Drumherum“ bezeichnet, hat, allein schon wegen dieser verkorksten Dialektik ein paar Nackenschläge verdient. Die Dame im beigen Werktagskostüm jedoch hat von alledem nichts gehört, sagt sie, und sie lässt sich auch nicht von dem Reiseleiter beeinflussen, der eine sehr deutliche Vorstellung von dem hat, was sich für eine Rentnercrew ziemt. „Sie wissen ja, Museen müssen heute, so heißt das ja: interaktiv sein“, hatte der im „Entdeckerzentrum“ gesagt, das direkt hinterm Eingangsdrehkreuz beginnt. Und seine Stimme hatte pikiert geklungen. Aber, obwohl er dann wirklich federnden Schrittes davon geeilt ist, ist sie ihm nicht gefolgt. Stattdessen testet die Frau aus dem Allgäu das Trimmdich-Velo an, zunächst vorsichtig, in der Hocke und mit der linken Hand. Dann, ihre Freundin ist Zeugin, schwingt sie sich auf den Sattel des Hometrainers und lässt enthemmt die grünen Leuchtdioden im Tacho glühen, während gegenüber der Wandbehang aus goldglänzenden Blechblättchen flattert: Die Pedalbewegung betreibt ein Gebläse. So viel Energie also steckt in Windstärke acht, sollen Kinder hier erfahren.
Als vor sechs Jahren die „botanika“-Pläne erstmals diskutiert wurden, hegten einige Parkfreunde die Hoffnung, durch den neuen Tourismusmagneten auch fürs Gartenkulturdenkmal öffentliche Investitionsmittel abzweigen zu können, andererseits war ihre Angst vor der Spaßgesellschaft mit ursächlich, dass das Projekt nur mit gebremstem Schaum verwirklicht wurde. Prinzipieller Widerspruch ist damals nicht aktenkundig geworden, obwohl die von interessierter Seite vorgelegte Prognose von 220.000 Besuchern so etwas wie die blaue Blume der Romantik gewesen ist: Wunderbar, doch unerreichbar. Heute gilt schon die Hälfte als Erfolg, und der neue Tourismusmagnet braucht selber Subventionen, statt das Defizit des Parks abzumildern. Verursacht hat er’s aber nicht.
Es ist ein normaler Werktagsvormittag, ein Schultag, eine Schulklasse aber hat sich offenbar nicht fürs „grüne Science-Center“ angemeldet. Im silbrigen Science-Center neben der Uni soll das auch schon mal vorgekommen sein, doch das weiß man nur vom Hörensagen. Dafür ist es in der „botanika“ eben stiller. Betriebswirte werden Ruhe als durchaus zwiespältige Qualität bezeichnen, schließlich rollt der Rubel nur, wenn Leben in der Bude ist, weshalb man jetzt, gleichsam als Kompromiss, Fische aus rhododendronträchtigen Tropenregionen in Aquarien aufgestellt und im asketisch-strengen Japangewächshaus ein Freigehege für Koi-Karpfen eingerichtet hat: Die lassen sich sogar streicheln, heißt es. Auch sollen die Karpfen demnächst Namen bekommen, der eine von den beiden albinofarbenen werde sogar schon Heino gerufen, informiert die PR-Beauftragte, aber welcher, bleibt unklar: Singen können sie beide nicht.
Dass sich das strukturelle Defizit der „botanika“ durch Zierfisch-Besatz um jährlich 100.000 Euro drücken lässt, wird ernsthaft niemand annehmen. Dafür ist ihr Radau-Faktor zu klein – betriebswirtschaftlich ist das Projekt gescheitert. Die relative Ruhe hat aber auch etwas Paradiesisches, und ist förderlich für die Konzentration, sodass die Entdeckungen im Entdeckerzentrum sich auch einprägen können. Hier kann, wer will, die Blütenblatt-Struktur auf Papier frottieren, erfahren lässt sich auch, dass die Erde Schichten hat, das Wind und Kraft irgendwie zusammenhängen. Und dass die Lampe im Modell des Solar-Energie-Hauses gewartet werden muss. Dann kommt man an den Bonbon-Apparat.
In Bremen ist es üblich, auf die Rentabilität einer kulturellen Darbietung zu schauen. Dem Bedürfnis entspricht der Bonbon-Apparat. Natürlich ist der eigentlich kein Bonbon-Apparat sondern ein Photosynthese-Quiz. Das leichte, um genau zu sein, denn es gibt am Computer gegenüber auch eins, das zur Abi-Vorbereitung für Bio-Leistungskurse konzipiert zu sein scheint: Richtige Antworten honoriert es mit einem gelben Häkchen auf dem Monitor und einem harmonischem „plimm“ aus den Rechner-Boxen. Wer nicht weiß, was das rER ist geschweige denn ob und welche Ribosomen daran andocken, entlockt ihnen bloß ein demütigendes Furzen.
Das ist am Bonbon-Apparat anders: Da wird nach Grundsätzlichem gefragt, und dass der Baum hinten leuchtet, wenn man auf die Knöpfe „Kohlendioxid“, „Wassser“ und „Licht“ drückt, nicht aber auf „Sauerstoff“ und „Stickstoff“, bekommt ein aufgewecktes Kind auch ohne Lesen raus. Nach einer Weile Geblink rappelt’s dann unterm Pappbaum und ein Röllchen mit Traubenzucker-Drops landet im Warenschacht. In der Apotheke hätte das fast 80 Cent gekostet: Ab elfmal drücken macht man Gewinn.
Das große Thema der „botanika“ ist natürlich nicht die Photosynthese, sondern: Artenvielfalt, inklusive ökologischer Zusammenhang in den diversen Nischen, weshalb auch durch einen tierstimmenbeschallten Wald mit Plastikband-Lianen zu irren ist, und man auch blind zwischen dem Tibet- und dem Borneo-Gewächshaus unterscheiden wird: In Tibet ist es reichlich frisch. Und auf Borneo riecht’s modrig.
Das Problem ist: Um das Thema Artenvielfalt zu vermitteln, muss man auf die Gattung aufmerksam machen, an der es abbuchstabiert wird. Die, das gibt der Park vor, heißt Rhododendron. Günstig ist das, weil es ziemlich viele Rhododendron-Arten gibt. Schwierig ist das aber auch, weil – außerhalb von Bremen – nur wenige Menschen Rhododendron wirklich aufregend finden. Also setzt „botanika“ Akzente: Am Anfang steht ein Film, der auf eine kreisförmig gespannte Tüllgardine projiziert wird, was befremdlich klingen mag, und auch optisch etwas gewöhnungsbedürftig ist. Aber es macht schon mal neugierig: Es werden Dschungelbilder gezeigt, englische Parks und stürmische Überfahrten, dazu, mit rauer Stimme, Telegramme und Tagebucheinträge so genannter Plant-Hunter vorgelesen, Pflanzenjäger also, die im 19. Jahrhundert samensammelnd durch die Wildnis zogen. Register: Abenteuerroman, Forscherleben, Gefahr. Das ist packend und ein guter Zugang, genauso wie die so genannte Blütenlounge: Wer sich in deren roten Kunstlederliegen fläzend gen Decke schaut, soll die Lichtbildwelt dort aus der Perspektive einer Blüte wahrnehmen. So’n bisschen zumindest. Und bitt’schön an den fünf Plexiglassäulen mit Schaltknüppel-Zerstäubern und Riechrohren festgestellt haben, dass die Rhododendron-Duftnote mit schwer-lastend und süßlich doch sehr vereinfacht umschrieben ist. Jede Art hat doch ihr eigenes Aroma. Und diese gelbe da riecht sogar leicht nach Joghurt.
So differenziert ist das im altehrwürdigen Park nicht mitzukriegen. Vor allem nicht, wenn’s regnet. Es sei denn man hat es gelernt. In aller Ruhe. Die Gelegenheit, das in der „botanika“ zu tun, ist günstig.