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Archiv-Artikel

Reich und obszön

DOKUDRAMA „Flick“ (21 Uhr, ARD) lässt kein gutes Haar an der Industriellendynastie und dem Patriarchen Friedrich. Die Kernfamilie war für Autor Thomas Fischer nicht zu sprechen

Die Korrumpierbarkeit dreier deutscher Systeme weiß Friedrich Flick für seine Zwecke zu nutzen

VON JENS MÜLLER

Als die ARD vor knapp drei Jahren die kritische NDR-Dokumentation „Das Schweigen der Quandts“ zeigte, geschah dies ohne vorherige Ankündigung, so sehr fürchtete man die Familienanwälte. Für heute ist nun im Ersten der erste Teil eines SWR-Films über eine andere Familie – die Flicks – ganz normal angekündigt. Der zur Rezension übersandte Film trägt einen Aufkleber, auf dem handschriftlich vermerkt ist: „Epilog noch nicht von Familie Flick freigegeben!“ Man bemüht sich offenbar um einen Konsens. Aus diesem – natürlich interessanten – äußeren Umstand auf einen allzu unkritischen und euphemistischen Film zu schließen, wäre allerdings voreilig.

Tatsächlich lässt der Autor Thomas Fischer kaum ein gutes Haar an der Familie, am wenigsten an Friedrich F., mit ihm fing der ganze Schlamassel an. Wäre er eine literarische Figur, müsste man ihn überzeichnet nennen. Eine Charge. Schon seinen ersten Unternehmensbesitz erlangt der nicht in reiche Verhältnisse Geborene nur, indem er seinen Arbeitgeber hintergeht. Und dann: Kriegsgewinnler in zwei Weltkriegen. Unter den Nazis Profiteur von Arisierung und Sklavenarbeit; dann Profiteur der Schwamm-drüber-Mentalität in der nach vorne schauenden Wirtschaftswunder-Bundesrepublik. Unter den Nazis Kriegsverdienstkreuz I. Klasse; dann das Große Bundesverdienstkreuz mit Stern und Schulterband. Die Korrumpierbarkeit dreier deutscher Systeme – von der Weimarer Republik über das Dritte Reich bis zur Bundesrepublik – weiß er für seine Zwecke zu nutzen, politische Landschaftspflege durch Cashflow. Die Heuschrecken von heute sind dagegen kleine Fische, lahme Enten.

Nicht einmal Friedrich F.s – im Film anekdotenreich zu Wort kommender – Patensohn weiß etwas Nettes über ihn zu sagen. Er und eine Exfrau von Friedrich Karl F., Friedrichs jüngstem Sohn, sind übrigens die einzigen aus dem Kreise der Familie, die Thomas Fischer vor die Kamera bekommen hat; nicht weniger als 17 Zeitzeugen und Experten mussten ihm stattdessen genügen. Die Kernfamilie sieht der Zuschauer nur auf Fotos und Filmdokumenten – und in nachgestellten Spielszenen, wie sie für das Geschichtsfernsehen hierzulande inzwischen beinahe obligatorisch sind.

Im ersten Teil geht das sogar noch gut, der Film beschränkt sich weitgehend auf eine kammerspielartig inszenierte Verhörsituation 1947, Vorbilder: „Der Totmacher“ oder auch „Sophie Scholl – Die letzten Tage“. Im zweiten Teil läuft das Reenactment dann aber aus dem Ruder, etwa wenn Friedrich F. seinen ältesten Sohn Otto-Ernst zurechtweist: „Alles, was du hast, hast du durch mich. Alles, was du bist, bist du durch mich. Du selbst bist und hast gar nichts. Vergiss das nicht!“ So eine unfreiwillige „Dallas“-Parodie hätte der ansonsten sehenswerte Film nicht nötig gehabt, die Ausführungen der Zeitzeugen bieten genug komisches Potenzial. Da sagt jener lustige Patensohn über Otto-Ernst F.: „Er war ein sehr penetranter Kleingeier!“ Da bringt der Konzern-Manager Eberhard von Brauchitsch die Funktionsweise der illegalen Spendenpraxis à la Flick auf den Punkt: „Die sollen ihre Arbeit machen bei der Politik. Wer macht sie im demokratischen Sinne? Die und die Parteien. Dann kriegen sie’s Geld!“

So ging das über Jahrzehnte; dann, Anfang der 1980er, hieß es plötzlich „Flick-Affäre“ und der Spaß war vorbei. Noch einmal machte der Name Flick Schlagzeilen, als sich zur Jahrtausendwende die Erben unwillig zeigten, in den Entschädigungsfonds für Zwangsarbeiter einzuzahlen. Und als es daraufhin die Herren der Stadt Berlin nicht übers Herz brachten, Friedrich Christian F. und seiner Kunstsammlung die kalte Schulter zu zeigen. In der Bundesrepublik schaut man auch heute lieber nach vorne.

■ Folge 2 „Das Erbe“ läuft am 7. Juni um 21 Uhr im Ersten