Treu gekracht

Das Sleater-Kinney-Konzert bewies: Wütende Mädchen brauchen frischere Kunstformen als Alternative Rock

Von den Riot Grrrls der Neunziger, von Team Dresch und Huggy Bear hört man dieser Tage nicht mehr viel. Aber immerhin gibt es da zum einen noch Kathleen Hannah, die mit Le Tigre aktiv ist. Und zum anderen sind da Sleater Kinney, die coolen Ikonen der Riot-Grrrl- Bewegung, die im letzen Jahr ihr siebtes Album „The Woods“ veröffentlicht haben und zurzeit auf Tournee sind in Deutschland.

In Portland traf 1994 Carrie Brownstein im College auf Corin Tucker – beide interessierten sich für Feminismus, für Bands wie Bikini Kill und die Riot-Grrrl-Fanzinekultur. Sie taten das einzig Vernünftige: gründeten eine Band und benannten sich nach der Kreuzung, an der ihr Proberaum lag – Sleater, Ecke Kinney. Zwei Gitarren, zwei Gesänge, ein Schlagzeug – das war von Anfang an die Konstellation –, und dieser basslosen Devise sind sie bis heute treu geblieben.

„Sie können richtig spielen, sie beherrschen ihre Instrumente so gut, dass es egal ist, ob es Jungs oder Mädchen sind“, schrieben damals sinngemäß die gendertechnisch unterbelichteteren Musikjournalisten. Dabei wollten Sleater Kinney nie etwas anderes, als erstens gegen alle Rockklischees anspielen und zweitens genau dabei hundert Prozent Rock machen. Ihre Texte waren sprachlich präzise und hatten Humor: So beschrieben sie in ihrem Hit „Call the Doctor“, wie Weiblichkeit pathologisiert wird. Und in „No Rock’n’Roll Fun“ wendeten sie sich mit einer Redewendung, mit der sich sonst bestimmte Männer über die langweilige Freundin äußern, schön seitenverkehrt an ein männliches Gegenüber.

Seitdem ist einiges passiert: Carrie Brownstein hat sich zur Feuerwehrfrau ausbilden lassen, Corin hat das Studium durchgezogen und ist Mutter geworden. „Dig Me Out“ brachte 1996 den endgültigen Durchbruch für Sleater Kinney, das Album wurde auch hierzulande als beste Rockplatte des Jahres gerühmt, und die Spex brachte Sleater Kinney sogar aufs Titelbild, was ja 1997 ja noch viel bedeutete.

Am Donnerstagabend ist die Mehrzahl der etwa 300 Besucher im Maria am Ufer untussig weiblich – was ein Rockkonzert, bei dem der Funke nicht über die ersten drei Reihen hinausspringen will, eigentlich immer angenehmer macht. Dabei spielen Sleater Kinney gekonnt dynamisch und variantenreich, ihr ultrakompaktes Zusammenspiel entwickelt eine ungeheure Wucht. Brownstein kennt alle Gitarristen-Manierismen, mit ihren Sprüngen nimmt sie wie ein störrisch-elegantes Fohlen die ganze Bühne ein.

Corin Tucker singt und schreit kunstvoll: Sie ist die einzige Sängerin, die Tremolos auf Schreie legen kann. Aber nach der ersten eindrucksvollen halben Stunde eskaliert das reibungslose Zusammenspiel in krachige Gitarrenduelle und zehnminütige Doppelsolo-Improvisationen. Da kann man zwar, wenn man will, Hendrix und Led Zeppelin heraushören, aber eigentlich hört man dann doch nur langweiligen, US-amerikanischen Alternative Rock. Sleater Kinney können nichts dafür: Sie sind sich einfach nur treu geblieben, das Genre „angegrungeter, leicht schweiniger Krachrock“ hat sich wohl einfach überlebt.

Dabei ist es ja nicht so, dass junge Mädchen und erwachsene Frauen keinen Grund mehr hätten, wütend zu sein – aber das gute alte Do-it-yourself-Prinzip des Punk, mit seinem Geschrei und seinen Primitivismen, ist der Sache dann vielleicht doch dienlicher, weil es länger frisch bleibt als die krachende Rock-’n’-Roll-Wut.

CHRISTIANE RÖSINGER