Die Deutschland-Bastelei

Matthias Matussek legt los: In seinem Buch „Wir Deutschen“ schreibt der „Spiegel“-Kulturchef gegen eine angebliche nationale Verdrängungs-Neurose an und haut zusammen, was ihm zum Heimatland eingefallen ist. Deutschland ist prima, meint er

VON DIRK KNIPPHALS

Matthias Matussek hat in einem Recht. Deutschland ist zurzeit ein interessantes Thema. Nur leider geht der Kulturchef des Spiegel in seinem neuen Buch „Wir Deutschen“ schlampig mit diesem Thema um.

Das fängt schon beim Begriff von Deutschland an. Matussek schreibt: Es habe zuletzt eine von politischer Korrektness geprägte „nationale Verdrängungs-Neurose“ gegeben, die sich nun allerdings zu lösen beginne. Ganz sachlich kann man festhalten, dass diese These nicht neu ist. Neu ist nur, dass Matussek sie vom rechten Rand, wo sie zum intellektuellen Standardrepertoire gehört, in den Mainstream verschieben will. Zugleich aber löst Matussek dabei das Nationale begrifflich vollkommen auf; er benutzt die Verdrängungsthese dazu, alles zusammenzurühren, was ihm zu Deutschland einfällt. Dies Buch ist auch eine Zweitverwertung seiner Spiegel-Artikel über Heinrich Heine, Heidi Klum, die Dresdner Frauenkirche und manch andere Thema, angereichert mit lockeren Überlegungen darüber, wie toll dies Land doch sei – als ob es je eine Verdrängungs-Neurose gegeben hätte, über Heidi Klum zu reden!

Es ist diese von Matussek selbst nie reflektierte Verbindung der angeblichen Nationalneurose, die ja auch als Lizenz funktioniert, nun aber mal richtig über Deutschland loszulegen, mit zusammengesuchten Mainstreamthemen, die den Sound und den eigentümlichen Unernst dieses Buches ausmacht. Soll man das alles reaktionär nennen? Ach, bevor man sich das überlegt, muss man sich Gedanken darüber machen, ob man nicht noch viel basalere Vorwürfe entwickeln kann: Je länger man in dem Buch liest, desto unklarer wird nämlich, was Matussek mit „Deutschland“ überhaupt meint.

Meint er das schwere Pathoszeichen, das immer noch wie von selbst Ernstdiskurse eröffnet? Man könnte es glatt glauben, wenn Matussek über den Erfolg der neuen deutschen Malerei nachdenkt und dabei die „geschichtliche Dimension“ – also Krieg und Nazis – gegen die heutige „Eindimensionalität der Wegwerfgesellschaft“ ausspielt. Oder meint er das bundesrepublikanisch aufgehellte Deutschland, das sich einigermaßen glaubwürdig aus seiner nationalen Hybris herausgearbeitet hat? Auch dafür gibt es Hinweise, etwa wenn Matussek die Offenheit der deutschen Gesellschaft betont. Oder meint er gar dies „Du bist Deutschland“-Plastikland, in dem die Nation als wärmender Imageträger innerhalb der kalten Globalisierung aufgebaut werden soll? Manche Stellen legen auch das nahe. Kurz: Deutschland ist ein schillernder Begriff, der sich nicht von selbst erklärt – Matussek gibt sich damit zufrieden, ihn von allen Seiten naiv zu bestaunen.

Eine weitere „These“ des Buches ist, dass die Deutschen ein liebenswertes Volk sind, das eine lebenswerte Gesellschaft bildet. Interessanter wäre natürlich gewesen, darin zu unterscheiden, was lebenswert ist an diesem Land und was auch vielleicht nicht gar so lebenswert, wie es dazu gekommen ist, dass dieses Land lebenswert wurde, und wie man das Lebenswerte daran verteidigen und sogar eventuell noch ausbauen könnte. Aber ähnlich wie beim Deutschland-Begriff kommt es gar nicht zu weiterführenden Überlegungen. Noch nicht einmal Gedanken darüber, wen er mit „den Deutschen“ denn eigentlich meint, hat sich Matussek gemacht. Als ob es keinen Unterschied ums Ganze machen würde, ob man das deutsche Volk nun als Abstammungsgemeinschaft oder republikanisch definiert! Wie manche Ausflüge in die deutsche Kulturgeschichte nahe legen, möchte Matussek die Deutschen vor allem als Kulturgemeinschaft verstehen; aber auch da bleibt die Frage, ob er nun an die Existenz einer „deutschen Identität“ glaubt oder nur an Traditionen, die die Bewohner des Landes geprägt haben – und solche Überlegungen sind nun wirklich Grundvoraussetzungen jeden aktuellen Nachdenkens über Deutschland.

Dass dies kein Lehrbuch für gedankliche Differenzierung sein würde, war eh klar – jedenfalls für jeden, der die stets auf Volldampf gebauten Artikel dieses Autors gelesen hat. Es überrascht aber doch, wie sehr man sich beim Lesen immer wieder dabei ertappt, das Thema Deutschland vor Matussek, der doch eigentlich sein Verehrer sein will, zu verteidigen. Wirklich interessant an dem Buch ist nur, mit wie wenig gedanklichem Aufwand jemand wie Matthias Matussek bei dem Thema durchkommen zu können glaubt. Schade wäre es, würde man dies Thema zusammen mit diesem Buch ad acta legen.

Matthias Matussek: „Wir Deutschen“. Fischer Verlag, Frankfurt a. M. 2006. 352 Seiten, 18,90 €