: Wasserspiele im Waldstadion
Das Frankfurter Waldstadion ist weniger für seine Architektur als vielmehr für verregnete Fußballspiele berühmt. Zur WM beschwor ein ecuadorianischer Schamane bei seinem Besuch ausdrücklich die „Wasserfälle und die Geräusche des Himmels“
von CAROLA RÖNNEBURG
Wenn alles gut geht, regnet es nicht. Regen in Frankfurt könnte nämlich dafür sorgen, dass das neue Waldstadion erneut von der Welt nicht gebührend gewürdigt wird. 2005 jedenfalls war weder die Rede davon, wie nah der Zuschauer hier dank der steilen Schüsselarchitektur am Geschehen ist – alkoholisierte Personen im Oberrang leben gefährlich –, noch wurde hervorgehoben, dass hier niemand um einen Stützpfeiler herumlinsen muss. Stattdessen konzentrierte sich alles auf das Dach.
Diese Faltkonstruktion, knitterfrei verstaubar im hoch angebrachten Videowürfel über der Mitte des Stadions, hatte beim Confederation Cup einen Defekt: Während ein Wolkenbruch niederging und gleichzeitig das Endspiel ausgetragen wurde, riss ein spannungsförderndes Drahtseil. Bald darauf schwoll in einer Ecke des Dachs eine beeindruckende Beule heran, deren Inhalt wenig später knapp, aber minutenlang, neben einer Eckfahne niederging. Eine Neuauflage der „Wasserschlacht von Frankfurt“ sahen die Berichterstatter da und erinnerten an das Weltmeisterschaftsspiel von 1974, als die Spieler der deutschen und der polnischen Mannschaft knöcheltief im Frankfurter Regenwasser gestanden hatten.
Und auch beim letzten Heimspiel dieser Bundesliga-Saison ging es ähnlich zu: Eintracht Frankfurt und Borussia Mönchengladbach haderten aufgrund der Wetterverhältnisse mit Aquaplaning. Dieses Mal war zwar nicht das Dach, sondern der Schiedsrichter schuld, der laut DFB-Regularien entscheiden darf, ob beschirmt oder unter freiem Himmel gespielt wird. Aber wer kann das wissen?
Vielleicht gehört Regen, selbst sporadischer, zu einer Hafenstadt. Die ist Frankfurt schließlich immer noch, wenn auch die Schifffahrt auf dem Main schon lange eine kleinere Rolle spielt als der Wald fressende Flughafen und weit entfernt vom offenen Meer operiert. Man lebt am Wasser, dies sogar buchstäblich. Neu erbaute Wohnviertel verdrängen die Hafenindustrie, auf weiten Strecken ist das Mainufer inzwischen spaziergängertauglich umgestaltet.
Anlässlich der Weltmeisterschaft wird eine 144 Quadratmeter große schwimmende Leinwand zwischen Alter Brücke und Ignaz-Bubis-Brücke im Fluss verankert. 10.000 Besucher sollen vom Innenstadtufer, 6.000 von der Liegewiese am Ufer von Sachsenhausen die Fernsehübertragungen verfolgen können. Eine Kurve in der „WM-Main-Arena“, wenn es so etwas beim „Public Viewing“ geben kann, dürfte sich dabei auf der Liegewiese bilden – gegenüber entsteht eine Tribüne mit Sitzplätzen.
Ob auch portugiesische, paraguayische oder togolesische Auswärtsfans dieses Angebot nutzen, wird schwer feststellbar sein. Ein gutes Viertel der Einheimischen besitzt nicht die deutsche Staatsangehörigkeit. In einigen Kommunen hierzulande würde dieser Umstand Panik auslösen, in Frankfurt ist Multikulti gar nichts Besonderes. Vor allem Türken, Italiener und Exjugoslawen leben hier; viele Bürger anderer Herkunft gründen unter anderem äthiopische Kneipen, spanische Eltern- und griechische Fußballvereine. Es mag sein, dass das Berliner KaDeWe drei Sorten Mangos vorhält – im Frankfurter Bahnhofsviertel bietet ein pakistanisches Lebensmittelgeschäft zwölf an.
Und gibt es im KaDeWe bosnisch-herzegowinische Hagebuttenmarmelade? Wohl kaum. Aber im Frankfurter Stadtteil Höchst. Selbstverständlich finden sich auch hässliche Geschichten aus und über Frankfurt. Die Bereitschaft aber, es miteinander und notfalls auch mehrfach zu versuchen, scheint hier ausgeprägter zu sein als anderswo.
Womit wir bei der Frage wären, wie es mit der Sicherheit aussieht, wenn holländische und vor allem englische WM-Touristen die Trinkhallenkultur Hessens kennen lernen. Wird es Krach geben? Die Polizei gibt sich selbstverständlich gewappnet und gerüstet, könnte aber das größere Problem darstellen. Deeskalation ist ein Fremdwort, man ist hier schnell bei der Hand mit unnötigen Maßnahmen – zuletzt bewiesen nach dem Aufstiegsspiel der Eintracht in die Erste Liga, als die Polizei im Stadtteil Sachsenhausen keine frustrierten, sondern bis dahin glücklich feiernde Fans durch die Straßen jagte.
Andererseits dürften sich unschöne Szenen nicht in der Innenstadt, sondern vielmehr in Frankfurt-Niederrad ereignen. Auf diesen hauptsächlich trostlosen Ort – in Waldstadionnähe! – wird sich nach Informationen des Niederräder Anzeigers alle Gewalt konzentrieren. Die „Heimatzeitung“ jedenfalls erwartet „tausende Hooligans“ und sieht „unbeteiligte Großmütter“ – andersherum wäre es auch wirklich noch schöner – von der „Dampfwalze des Fußball-Mops“ bedroht. Sehr viel wahrscheinlicher wird ein verirrter Fußball-Mops von jener Großmutter mit Hundekuchen gefüttert.
Außerdem wird es wohl regnen. Nicht sanft wie in England, sondern heftig wie in Hessen. Daran ist wiederum Ecuador schuld, das aus Nord- bzw. Westdeutschland bis ins Viertelfinale und damit nach Frankfurt vordringen will. Am 8. Mai besuchte ein ecuadorianischer Schamane das Waldstadion. Presseberichten zufolge trug Tzamarenda Naychapi ein Raubkatzenfell sowie eine Lanze und stieß laute Schreie aus, während er ein Ritual vollzog.
Nichts Überraschendes in Frankfurt, wo man alles kennt – man muss an dieser Stelle jedenfalls erwähnen, dass sich der Football-Klub „Galaxy“ regelmäßig in den Stadionrasen eingräbt, was wiederum regelmäßig ein gepflegtes Kurzpassspiel der Eintracht behindert. Lanzen und Schreie sind dagegen harmlos.
Allerdings beschwor der Schamane ausdrücklich die „Wasserfälle und die Geräusche des Himmels“. Das Stadiondach scheint vor einer erneuten Belastungsprobe zu stehen.