„Der Hamas-Boykott ist schädlich“

EU und USA haben einen Boykott gegen die Hamas-Regierung verhängt. Doch damit trifft der Westen nur die palästinensische Bevölkerung – und stärkt die Hamas sogar noch, so Norman Paech, Abgeordneter der Linkspartei

taz: Herr Paech, Sie kommen gerade von einem Besuch der palästinensischen Gebiete zurück. Wie haben sie den eskalierenden Konflikt zwischen der radikal-islamischen Hamas und der Fatah von Palästinenserpräsident Mahmud Abbas wahrgenommen?

Norman Paech: Wir haben nur mit Mitgliedern der Fatah gesprochen. Mitglieder der Hamas konnten wir nicht treffen, da das Auswärtige Amt eine Kontaktsperre gegen sie verhängt haben. Eine Vermittlung war von daher nicht möglich. Die Partei- und Parlamentsmitglieder, die wir gesprochen haben, sehen den Konflikt, wollen ihn aber überwinden. Deshalb sollte es auch einen Kongress des nationalen Dialogs geben. Alle Parteien – Hamas, Fatah, PFLP und PDFLP – versuchen, den Konflikt auf eine vernünftige Basis zu stellen. Auch die Fatah-Leute sind gegen den Boykotts gegenüber der Hamas. Sie sagen, Hamas hat genügend Gelder, so dass ein finanzieller Boykott nichts bewirkt. Der trifft nur die Bevölkerung – und die wird sich infolgedessen der Hamas eher zu- als abwenden.

Der Widerspruch ist: Die Parlamentswahl wird als fair und für den Nahen Osten beispielhaft bezeichnet. Nur: Das Ergebnis dieser Wahl will niemand akzeptieren.

Diesen Widerspruch betonen alle, mit denen wir gesprochen haben. Auf Unverständnis stößt vor allem, dass dieser Widerspruch im Westen überhaupt so aufkommen konnte. Wenn man schon mit der Hamas nicht reden will, sagen die Leute, dann sollte man doch wenigstens mit Präsident Abbas reden. Denn der hat immerhin von der Hamas das Mandat erhalten, um über den künftigen Status eines palästinensischen Staats zu verhandeln.

EU und USA haben, neben dem politischen Boykott, auch eine Milliarde Dollar an Hilfsgeldern gestrichen. Droht der Zusammenbruch der palästinensischen Gesellschaft?

Wenn der Westen seinen Boykott weiterhin durchzieht und Israel sich weiter weigert, den Palästinensern zustehende Gelder zu übermitteln, dann muss man einen solchen Zusammenbruch befürchten. Die Situation im Gaza-Streifen zum Beispiel ist so aufgebracht, dass ich dort nicht wie geplant einreisen konnte. Der frühere Generalbevollmächtigte der Palästinenser in Deutschland, Abdallah Frangi, hatte mich zwar eingeladen. Jetzt hat er aber wieder absagen müssen, da die Lage zu gefährlich ist. Es ist in der Tat so, dass eine Politik der Ausgrenzung vor allem Chaos produziert – das müssten die Verantwortlichen in der EU und den USA eigentlich wissen.

Die Geberländer fordern von der Hamas, das Existenzrecht Israels anzuerkennen, dem Terror abzuschwören und sich an die mit Israel geschlossenen Verträge zu halten …

Man muss zweifellos auf diesen drei Forderungen bestehen, allerdings nicht im Sinne einer Vorbedingung, sondern eines Ergebnisses des Verhandlungsprozesses. Und die Tatsache, dass die Hamas bereit ist, Verhandlungen mit Israel aufzunehmen, ist bereits eine indirekte Anerkennung Israels. Außerdem hat die Hamas bereits erklärt, alle mit Israel abgeschlossenen Verträge einhalten zu wollen. Dagegen steht auf der anderen Seite Israel, das die Vereinbarungen nicht einhält, zu denen es sich verpflichtet hat – etwa die Weitergabe von Steuer- und Zolleinnahmen, die den Palästinensern zustehen. Da sehe ich den Widerspruch eher bei den Israelis als bei der Hamas.

Sie haben auch israelische Friedensaktivisten getroffen. Was halten die vom Erstarken der Hamas?

„Peace Now“ und die so genannten Genfer Initiative lehnen den Boykott gegenüber der Hamas vollkommen ab und fordern Verhandlungen. Den Plänen des israelischen Premier Ehud Olmert zu einem einseitigen und nur teilweisen Rückzug aus den palästinensischen Gebieten stehen sie sehr skeptisch gegenüber. Sie fragen sich, ob Olmert überhaupt ernsthaft verhandeln will. Einige haben ganz offen erklärt, wie sie die gegenwärtige Situation sehen: Eine blockierte Hamas, ein schwacher Präsident Abbas und eine desolate gesellschaftliche Situation – das sei für Israel die günstigste Situation, auf keine Bedingungen eingehen zu müssen.

Ist die Drohung Israels, seine Grenzen notfalls einseitig festzulegen, Teil dieser Strategie?

Das sehen nicht nur die Palästinensern, sondern sieht auch die israelische Friedensbewegung so. Dieser Unilateralismus wird als Kern einer sehr problematischen Zuspitzung gesehen, vor der alle warnen. Vor allem, weil Olmerts Plan einem palästinensischen Staat jede Zukunft raubt. Sein Plan sieht vor, das Westjordanland in drei Zonen zu teilen, die untereinander kaum verbunden sind. Das ist kein Angebot für einen palästinensischen Staat – das ist ein Annexionsplan und nur ein Vorwand, um auf keine Verhandlungen eingehen zu müssen.

INTERVIEW: WOLFGANG GAST