: Die Energiewende retten
Am Samstag geht die Anti-Atom-Bewegung wieder auf die Straße, im neuen Gewand und mit neuen Verbündeten – gelingt der Sprung zur Energiewende-Bewegung?
■ Samstag, 30. November
13 Uhr: Auftakt vor dem Hauptbahnhof/Washingtonplatz
13.30 Uhr: Start der Demo zur Umzingelung des Kanzleramtes
15 Uhr: Abschluss vor dem Hauptbahnhof/Washingtonplatz
Im Netz: energiewende-demo.de
Die große Koalition aus Union und SPD macht sich auf, die Wende in der Energiewende einzuleiten. Längst sind noch nicht alle Details geklärt, fest steht aber, dass der Ausbau der erneuerbaren Energien deutlich gedrosselt werden soll. Umweltverbände und Anti-Atom-Initiativen schlagen Alarm: „Die Energiewende darf nicht ausgebremst werden – kein ‚Weiter so‘ bei Kohle und Atom“.
Für diesen Samstag wird zur bundesweiten Großdemonstration nach Berlin mobilisiert. Neben den bekannten Akteuren der großen Anti-Atom-Demos der letzte Jahre sind diesmal auch Klimaaktivisten und Anti-Fracking-Initiativen mit dabei. Und auch die Verbände der Erneuerbaren-Energie-Wirtschaft rufen mit auf. Das spiegelt ein bisschen die Entwicklung der Bewegung wider. Viele, die 2010 noch den Castor blockiert haben, beteiligen sich nun an Bürgerwindparks und haben Solarzellen auf ihr Hausdauch geschraubt – vom Anti-Atom-Aktivisten zum Energiebürger.
Die Energiewende ist ein Erfolgsmodell. Im Strombereich stieg der Anteil der erneuerbaren Energien im Jahr 2012 auf 22,9 Prozent. Zu Spitzenzeiten werden bis zu 60 Prozent der benötigten Kraftwerksleistung erreicht. Nach wie vor unterliegt die Einspeisung von Wind und Sonne aber hohen Schwankungen. Die praktische Umsetzung von Speichertechnologien ist derzeit nicht in Sicht. Bei der Energiewende steht nun also der nächste große Schritt an. Die große Koalition möchte aber nur noch mit einem Trippelschritt weitermachen, so zumindest der Tenor in den meisten Medien. Wenn man genau hinschaut, macht sie eher einen Schritt zurück.
Worum geht es? Die Erneuerbaren, vor allem Windräder, produzieren immer mehr Strom. Konventionelle Kraftwerke werden zunehmend überflüssig und unrentabel. Sie laufen und laufen, auch wenn ihr Strom gerade nicht benötigt wird. Um die Grundlast zu sichern – also die Schwankungen von Sonne und Wind auszugleichen –, bedarf es aber weiterhin konventioneller Kraftwerke. Hier sind kleine, flexible Anlagen gefragt, die dezentral, je nach Bedarf schnell dazugeschaltet werden können. Solche Anlagen, Gasturbinen- und Blockheizkraftwerke fehlen aber in großem Maßstab.
Was tun? „Altanlagen genießen Bestandsschutz“, so steht es im Koalitionsvertrag von Union und SPD. Zudem heißt es dort: „Wir werden prüfen, ob große Erzeuger von Strom aus Erneuerbaren Energien einen Grundlastanteil ihrer Maximaleinspeisung garantieren müssen, um so einen Beitrag zur Versorgungssicherheit zu leisten“. Was das bedeuten könnte, darüber hat Fritz Vorholz in der Zeit philosophiert. Die Betreiber von Erneuerbaren müssten pro erzeugte Kilowattstunde eine Kompensationszahlung an die Betreiber von Kohle- und Gaskraftwerken leisten. Eine Altmaier-Kraft-Idee, heißt es. Auch Bernward Janzing fragt dazu in der taz: „Müssen Windmüller bald Energie aus Kohle kaufen, wenn ihre Anlagen stillstehen?“
So richtig absurd muss die Entwicklung der Energiewende aber den Anti-Atom-Aktivisten vorkommen. Die Energiekonzerne wollen 30 Kraftwerksblöcke abschalten. Insgesamt würde damit eine Leistung von 7.700 Megawatt vom Netz gehen. Das entspräche annähernd sieben Atomkraftwerken. Laut Bundesnetzagentur ist bisher die Abschaltung von 17 Kraftwerksblöcken mit einer Leistung von 4.400 Megawatt bestätigt. Die Abschaltung eines Atomkraftwerks wurde nicht beantragt. Rund die Hälfte der Anlagen sind Erdgaskraftwerke.
Zu der alten Forderung der sozialen Bewegung, „Alle Atomkraftwerke abschalten, und zwar sofort!“, gesellt sich nun also eine neue Parole: „Energiewende retten!“ Am 30. November wird sich zeigen, wie protestfreudig die neue, alte Bewegung ist. Die Organisatoren sind zuversichtlich. Über 40 Busse werden aus dem gesamten Bundesgebiet anreisen. Bei der Mobilisierung und beim Programm hat man sich viel Mühe gegeben. Im Vorfeld wurden 1.200 Aktionspakete versendet. Darin enthalten ein Drache zum Selbstbasteln und Beschriften. Hunderte davon sollen den Weg nach Berlin finden und dort als Botschaft in den Himmel steigen – „die Energiewende ist im Aufwind“. Die Drachen werden parallel zur Umzingelung des Kanzleramtes auf der Wiese vor dem Bundestag gestartet. An eindrucksvollen Bildern wird es also nicht mangeln. Luftballons, Anti-Atom-Fahnen, Kind und Kegel werden das Regierungsviertel stürmen. Für die Berliner Szene spielen „Incredible Herrengedeck“ und „Dotta und die Stadtpiraten“. JÖRN ALEXANDER