: Jetzt sind Chefs dran
VON LUKAS WALLRAFF
Nach der Aufklärung ist vor der Aufklärung, findet die Opposition im Bundestag. Der Bundesnachrichtendienst (BND) und die für ihn verantwortlichen Politiker müssen sich auf weitere Untersuchungen und Rücktrittsforderungen einstellen. Die gestrige Veröffentlichung des bislang geheimen Berichts von Sonderermittler Gerhard Schäfer zur Bespitzelung von Journalisten durch den BND könne „nur der Anfang“ sein, betonten die Geheimdienstexperten von FDP und Grünen gegenüber der taz. „Jetzt geht es um die politische Verantwortung“, erklärte der liberale Abgeordnete Max Stadler. Auch für Christian Ströbele (Grüne) sind „die entscheidenden politischen Fragen durch den Bericht noch nicht geklärt“. Es gebe jedoch „gravierende Anhaltspunkte“, dass das Kanzleramt über die Aktivitäten des BND informiert gewesen sei.
Nach wochenlangem Hin und Her wurde gestern Abend der Bericht veröffentlicht, den Schäfer im Auftrag des Parlamentarischen Kontrollgremiums des Bundestags (PKG) angefertigt hat. Er ist im Internet unter www.bundestag.de abrufbar. Eigentlich sollte er dort schon am Mittag erscheinen. Die Publikation verzögerte sich jedoch. Zur Begründung hieß es, dass mehrere Passagen gestrichen, ergänzt oder geändert werden mussten, weil einige im Bericht erwähnte Journalisten rechtliche Einwände erhoben.
Die Oppositionsvertreter im PKG, die den Bericht in voller Länge kennen, dämpften ohnehin die Erwartungen. Offen bleibe, welche BND-Chefs und Politiker für das teils rechtswidrige Verhalten der Nachrichtendienste verantwortlich seien, sagten Ströbele, Stadler und Wolfgang Neskovic (Linke).
Die Lektüre des Schäfer-Berichts lohnt sich trotzdem. Schäfer beschreibt detailliert den Umgang des BND mit der Pressefreiheit. Um herauszufinden, welche Mitarbeiter Geheimnisse an die Presse verraten hatten, wurden Journalisten observiert. Außerdem warb der BND Journalisten als Spitzel an: Sie sollten über Kollegen berichten. Exjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) verglich dies bereits mit „Stasi-Methoden“.
Der Geheimdienstkontrolleur der Linkspartei, Neskovic, stellte gestern allerdings den Informationsgehalt des Schäfer-Berichts in Zweifel. Dieser könne höchstens eine Bestandsaufnahme dessen sein, was der BND Schäfer zur Verfügung gestellt habe, sagte Neskovic der Sächsischen Zeitung. „Wenn der BND auf der Anklagebank sitzt und der Angeklagte bestimmt über den Umfang der Beweisaufnahme, dann ist doch klar, was rauskommt“, sagte Neskovic. Der Linke ist sich sicher: „Wir werden einen Untersuchungsausschuss brauchen.“ Diese Option halten sich auch FDP und Grüne offen. Zunächst wollen sie aber die Verantwortlichen befragen – BND-Chef Ernst Uhrlau am Mittwoch im Innenausschuss des Bundestags.
Die Bundesregierung kündigte gestern Konsequenzen an. So soll die Organisationsstruktur im Kanzleramt geändert werden, um besser über die Aktivitäten des BND informiert zu werden. Das reicht der Opposition aber nicht. Es sei zwar zu begrüßen, dass die Regierung den Nachrichtendiensten verboten habe, Journalisten auszuhorchen oder als Spitzel anzuheuern, sagte Stadler. Dies befreie aber nicht von der Aufarbeitung der Vergangenheit. Es gelte, herauszufinden, „wer wann etwas gewusst hat“.
Da sich die Journalistenbespitzelung von den 90er-Jahren bis 2005 erstreckt, kommen eine Reihe von Persönlichkeiten infrage. So war der amtierende BND-Chef Uhrlau unter Rot-Grün Geheimdienstkoordinator im Kanzleramt. Politisch brisant ist auch die Rolle von Ex-BND-Chef August Hanning: Er ist derzeit Staatssekretär im Innenministerium. Noch nicht aus dem Schneider ist aber auch Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD). Als Kanzleramtschef war er bis 2005 für die Geheimdienste zuständig.