: Einmal Libanon und zurück
Der 13-jährige Karim hatte Glück. Nach Jahren des Wirrwarrs kam er bei der Flüchtlingsinitiative Refugio zur Ruhe
Als die Leute von der Flüchtlingshilfe „Refugio“ Karim das erste Mal sahen, war er ein ängstlicher, verschreckter kleiner Junge. Er sprach kaum, schaute ständig hinter sich, konnte kaum schlafen. Und er hatte einen Tick – sein Auge zuckte. Heute ist er 13 Jahre alt und ein scheinbar ganz normales Kind.
Karim ist in Bremen geboren. Doch irgendwann entschied sein Vater, mit der Familie zurück in den Libanon zu gehen. Dort wollte er helfen, das Land neu aufzubauen. „Meine Mutter wollte das nicht. Sie hatte Angst“, sagt Karim. Wegen des politischen Engagements des Vater wurde die Familie im Libanon verfolgt und bedroht. Fremde Männer stürmten immer wieder das Haus, verhörten und misshandelten Mutter und Kinder. Aus Angst vor Entführungen ließ die Mutter ihre Kinder nicht mehr aus dem Haus. Fast drei Jahre lebte Karim mit seinen vier Geschwistern eingesperrt wie in einem Gefängnis. „Da war ich noch klein. Viel weiß ich nicht von der Zeit im Libanon“, erzählt Karim. Nur dass seine Mutter immer panisch war, das weiß er noch. Und das er bis heute ein schlechtes Gefühl hat, wenn er an das Land denkt.
Eines Tages kam der Vater nicht mehr nach Hause. Karims Mutter floh mit den Kindern zurück nach Deutschland. Hier quartierte man sie in ein Flüchtlingsheim ein. Ständige Konflikte und Gewalt unter den Heimbewohnern gehörten zum Alltag der Familie. „Mein Vater ist nicht wieder aufgetaucht“, sagt Karim. „Keiner weiß, was aus ihm geworden ist. Aber ich hoffe, dass er eines Tages bei uns vor der Tür steht.“
Dass Karim nicht mehr ständig unter dem Erlebten leidet, hat er Refugio zu verdanken, einem Therapiezentrum für Flüchtlinge. Traumatisierte Kinder und Erwachsene werden hier behandelt. „Bei Refugio fühlte ich mich zum ersten Mal sicher“, sagt Karim. „Hier konnte ich mich ausruhen.“ Für Karim sei es wichtig gewesen, dass er feste Strukturen bekam, etwas auf das er sich verlassen konnte, sagt seine Therapeutin Misa Obrsal-Ihssen. Sie hat mit ihm gemalt, gebastelt, geknetet. „Bei mir konnte er seine Probleme ausleben, sie verpacken und einfach hier lassen.“ Gesprochen habe er kaum. Aber in seinen Bildern sei immer wieder ein Wunsch thematisiert worden: Ein Zuhause. Eine Wohnung, in der man die Tür hinter sich zu macht, ein Schutzraum.
Nach 18 Monaten im Wohnheim, unzähligen Attesten und Bescheinigungen von Ärzten und Therapeuten bekam die Familien endlich eine Wohnung in Huchting zugewiesen. Dort haben Mutter und Kinder Freunde gefunden. Karim fing wieder an Fußball zu spielen – und wurde entdeckt. Heute geht er auf eine Sportschule und spielt in der Landesauswahl von Werder Bremen. Damit hat er etwas erreicht, was nicht viele Flüchtling schaffen. Er hat eine Zukunftsperspektive. Jeanette Simon