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Archiv-Artikel

Diese Kindheit ist wie ein böses Märchen

HÖRBUCH Peter Weiss’ „Abschied von den Eltern“

Es ist wie ein Rauschen im Kopf. Die Erinnerung an die Kindheit von Peter Weiss vermischt sich mit der eigenen, glücklicherweise weniger grausamen Erinnerung; die Verwunderung, mit der man auf die Welt der Erwachsenen blickte und sie nicht verstand, wird wieder lebendig.

Peter Weiss’ „Abschied von den Eltern“ ist ein Gewirr von Fragmenten einer unbarmherzigen Familiengeschichte – er bietet Rückblicke in eine dunkle Zeit des Krieges, vermischt mit bedrohlichen Tagträumen. Peter Weiss brauchte Jahre und etliche Neufassungen, bis sein Buch 1961 fertig war. Auslöser für die endgültige Fassung war der Tod des Vaters 1959. Jetzt ist das Buch als Hörspiel vertont worden.

„Ich habe oft versucht, mich mit der Gestalt meiner Mutter und der Gestalt meines Vaters auseinanderzusetzen. Peilen zwischen Aufruhr und Unterwerfung. Nie hab ich das Wesen dieser beiden Portalfiguren meines Lebens fassen und deuten können. Bei ihrem fast gleichzeitigen Tod sah ich, wie tiefentfremdet ich ihnen war. Die Trauer, die mich überkam, galt nicht ihnen, denn sie kannte ich kaum. Die Trauer galt dem Versäumten, das meine Kindheit und Jugend mit gähnender Leere umgeben hatte.“

Die Auflösung der Wohnung nach dem Tod des Vaters, das Zerfleddern der jahrelangen Ordnung von Möbeln und Bildern, „ein ungeheurer Aufwand des Lebens zu Nichts zerflossen“, die penible Aufteilung und Jagd nach letzten Habseligkeiten, das alles bedeutet unter den Geschwistern auch die Auflösung der Familie. Weiss hat währenddessen die Vision, dass die tote Mutter in der Türe erscheint, so lautlos, wie sie immer in seinem Zimmer auftauchte und ihn seiner Privatsphäre beraubte, und fassungslos auf den Verteilungskampf ihrer Kinder schaut.

Der Schauspieler Robert Stadtlober, der schon (zusammen mit Peter Fricke) die „Ästhetik des Widerstandes“ von Peter Weiss eingesprochen hat, ist auch jetzt der Sprecher. Seine ruhige Stimme verkörpert die Distanz des Schriftstellers und Malers zu seiner Vergangenheit und drückt jedoch gleichzeitig die Beklemmung aus, die der Vergangenheit innewohnt.

Wenig ist vom Krieg spürbar in den Erinnerungen, mal spricht er von Unruhen in den Straßen und einem Mann, der bei seiner Flucht über die Dächer erschossen wird.

Weiss vergleicht seine Kindheit mit den bösen Märchen. Vater und Mutter erscheinen wie grausame Übergestalten, die, unfähig zu Erziehung und Liebe, das Kind verwahren, seine Ängste, Gefühle und Bedürfnisse ignorieren. ELKE ECKERT

Peter Weiss: „Abschied von den Eltern“. Hörverlag, München 2013, 6 CDs, 290 Minuten,

24,99 Euro