: Leiden für Deutschland
Ein Besuch bei Gerhard Schröder, der von Gazprom nach Sibirien versetzt wurde
Gegen das neue Büro in bester Moskauer Innenstadtlage war das Bundeskanzleramt eine bescheidene Hütte. Die russischen Innenarchitekten haben Gerhard Schröders Gazprom-Büro in einen Traum aus Marmor, Gold und erlesenen Tropenhölzern verwandelt. Dezente Schlichtheit, die in mitteleuropäischen Vorstandsetagen vorherrscht, entspricht offensichtlich nicht dem Geschmack der russischen Businessmen. „Da musste ich ganz schön umdenken, nach der protestantischen Bescheidenheit in Berlin“, bekennt der umtriebige Sozialdemokrat, als er den Wahrheit-Reporter in sein verschwenderisch ausgestattetes Büro führt. „Mein Bernsteinzimmer“, scherzt er, steckt sich eine Cohiba an und lässt sich in den tiefen Lederfauteuil vor dem offenen Kamin fallen. Schröder war ja schon immer den schönen Dingen des Lebens zugetan, aber in seinem Moskauer Luxusbüro scheint der Brioni-Altkanzler einen neuen Gipfel des Genießertums erklommen zu haben.
Schröders zweite Karriere war also bestens angelaufen, zumal er im Schweizer Ringier-Verlag noch einen weiteren Auftraggeber hatte, für den er mit seinen internationalen Kontakten bei großen Deals den „Türöffner“ spielen sollte. Nachdem sich der Start in Moskau so gut angelassen hatte, plante das Ringier-Management gleich mehrere Print-Objekte für den unterentwickelten russischen Markt, die Schröder politisch absichern sollte. Und auch hier bewies der Niedersachse ein geschicktes Händchen. Titel wie Young Babuschka, Moskowskaya News, oder auto, motor und wodka wurden den Kioskbetreibern zwischen St. Petersburg und Wladiwostok von einem lesehungrigen Publikum aus den Händen gerissen. Schröder hatte nach nur einem Jahr in Moskau den Gipfel der Popularität erreicht. Der geborene Kommunikator bewegte sich mit schlafwandlerischer Sicherheit zwischen der Gas- und der Medienwelt. Alles hätte ewig so weitergehen können. Wenn nicht, ja wenn der gewiefte Taktiker nicht den entscheidenden Fehler begangen hätte, für Metallurg Playboy eine Reportage über Tschetschenien in Auftrag zu geben.
Die knallhart recherchierte Story über eine russische Eliteeinheit im Kaukasusgebiet löste eine Lawine aus. Männerfreund Putin war nicht amused und ließ Schröder fallen wie einen stinkenden Hering. Und wenn im Kreml der Daumen nach unten zeigt, dann hat das Folgen. In Schröders Fall hieß das Strafversetzung nach Sibirien, an die Gasfront.
Als Gazprom-Bezirkschef ist Schröder jetzt für das westsibirische Urengoy-Feld verantwortlich. Nebentätigkeiten für Ringier sind unerwünscht, die Kontakte zu westlichen Pressevertretern auf ein Minimum reduziert. Dem Wahrheit-Reporter ist es dennoch gelungen, Gerhard Schröder an seinem neuen Arbeitsplatz aufzuspüren. So muss man sich wohl das Ende der Welt vorstellen: Kein Grashalm, kein Baum, kein Strauch, kein Vogel singt – nur eine endlose Wüste aus Schnee und Eis und eine Stahlröhre, die sich bis zum Horizont erstreckt. Das leise Zischen des Überdruckventils ist das einzige Geräusch in dieser schockgefrosteten Einöde.
Wir treffen auf einen dick vermummten Mann mit Pelzmütze, der sich mit einem riesigen Vorschlaghammer am Ventil zu schaffen macht. Dass es sich bei dem Gaswerker um den Altkanzler höchstpersönlich handelt, stellen wir erst fest, als er auf Deutsch die Suffköppe beschimpft, die offenbar bei der letzten Wartung das Frostschutzmittel vergessen hatten. „Alles muss man selber machen – aber es ist ja eine Ehre für mich“, sagt er, während er mit zwei wuchtigen Schlägen das vereiste Ventil wieder gangbar macht. „Ich mache es für Deutschland.“ Hier beginnt die Nordeuropäische Gas-Pipeline, und wenn Schröder und seine Männer nicht aufpassen, gehen in Deutschland die Herde und Heizkessel aus.
Den schweren Vorschlaghammer geschultert, die Pelzmütze gegen den beißenden Wind tief ins Gesicht gezogen, stapft Gerhard Schröder durch den knirschenden Schnee zu seiner Baracke. Der rot glühende Bollerofen kämpft mit aller Macht gegen die sibirische Kälte an, die erbarmungslos durch alle Ritzen dringt. Schröder zieht seine Jacke aus, wirft Pelzmütze und Handschuhe auf die Eckbank und wärmt sich die schrundigen Hände am Kanonenofen. „Kein leichter Job bei dieser Saukälte“, brummt er und nimmt einen tiefen Zug aus der Wodkaflasche. Und wenn ihn seine Männer mit „Genosse Aufsichtsrat“ anreden, hebt das seine Laune auch nicht unbedingt. Aber was soll er machen? Schröder ist nicht der Mann, der bei der ersten Schwierigkeit den Bettel hinwirft.
Zum Abschied will er uns noch etwas zeigen. Auf der Fahrt zum Flughafen stoppt er den roten Lada Niva auf einer Anhöhe. Wie ein Feldherr steht er jetzt da, und der Blick, den er über die endlose Weite Russlands gleiten lässt, ist voller Wohlgefallen. Er blickt lange, lange, als ob er sich jede Einzelheit einprägen wollte. „Sehen Sie“, sagt er schließlich bewegt, und sein Arm schlägt einen weiten Bogen, „hier kommt es her, Gas von der allerbesten Qualität, russisches Gas für Deutschlands Stuben.“ Kein Zweifel, Gerhard Schröder leidet für Deutschland. RÜDIGER KIND