Krieg sieht auch schlecht aus

Eine überraschende Entscheidung, die aber repräsentativ ist für den diesjährigen Wettbewerb mit vielen bleischweren Filmen: Ken Loach erhielt für seinen Film „Der Wind, der in die Gerste fährt“ die Goldene Palme von Cannes

Mit einer überraschenden Entscheidung ging am Sonntagabend das 59. Filmfestival von Cannes zu Ende. Die Jury unter Vorsitz Wong Kar Wais verlieh die Goldene Palme an Ken Loachs Spielfilm „The Wind that Shakes the Barley“ („Der Wind, der in die Gerste fährt“), ein period piece, das 1920 spielt und vom Kampf der Iren gegen die britische Besatzung handelt. Überraschend ist das, insofern Loachs Film in den letzten Tagen des Festivals nicht als Favorit betrachtet wurde. Doch der Wettbewerb des diesjährigen Festivals war ohnehin nicht reich an Favoriten. Anders als letztes Jahr war er nicht einmal reich an guten Filmen.

Auch Loachs Beitrag hinterließ einen zwiespältigen Eindruck. In der ersten Hälfte von „The Wind that Shakes the Barley“ zeichnet der Regisseur die Untaten der englischen Soldaten mit grobem Strich; in dem Maße, in dem Michael Winterbottom in seinem Berlinale-Beitrag „The Road to Guantánamo“ kein gutes Haar an den US-amerikanischen Soldaten lässt, sind bei Loach die Militärs Barbaren: Sie fluchen, sie schreien, sie prügeln, sie foltern, sie töten wahllos und willkürlich. Diese Darstellung ermüdet auf Dauer, da die Anspannung, die von der drastisch ins Bild gerückten Brutalität ausgeht, zu groß ist. Loach gibt einen Rhythmus, ein Tempo, eine Lautstärke vor, anstatt zu modulieren und zu variieren. Er verzichtet auf Zwischentöne, auf Nuancen. Keinen Zentimeter bewegt sich die Dramaturgie von ihrem klaren Frontverlauf weg. Erst in der zweiten Hälfte wird „The Wind that Shakes the Barley“ vielschichtiger. Nachdem die irischen Kämpfer einen Teil ihrer Forderungen haben durchsetzen können, spalten sie sich in einen mit den Briten kooperierenden und einen radikalen Flügel. Von nun an widmet sich Loach den Widersprüchen, die dem Freiheitskampf innewohnen. Er spielt sie anhand eines Bruderkonfliktes durch und kommt dabei zu einem pessimistischen, bemerkenswert radikalen Ende.

So unerwartet die Entscheidung für „The Wind that Shakes the Barley“ sein mag, so ist sie doch repräsentativ für den diesjährigen Wettbewerb und auch für die übrigen Preise. Mit einer Ausnahme – der Auszeichnung für das Drehbuch und für das sechsköpfige Frauenensemble von Pedro Almodóvars „Volver“ – wurden Filme geehrt, die sich bleischwer gerierten; Filme, die sich der politischen Schieflagen der Vergangenheit und der Gegenwart annahmen und es dabei nicht an Furor mangeln ließen, oder solche, die allgemeinere, aber nicht minder düstere Aussagen über den Zustand der Welt und der Menschheit trafen.

Zum Beispiel der Gewinner des Großen Preises der Jury: Bruno Dumonts „Flandres“ entwirft zum einen eine ländliche Dystopie, zum anderen einen Kriegsschauplatz in einem fernen Land; beide Orte hält der französische Regisseur absichtsvoll so vage, dass man sie schwer zuordnen kann. An beiden Orten herrscht Sprachlosigkeit, was dem Handeln der Figuren etwas Kreatürliches verleiht. Dumonts Protagonisten sind verstockt, wortkarg, sie können nichts aushandeln, sie sind in sich gefangen; jede Freiheit ist ihnen fremd. Das ist ein unsympathisches Welt- und Menschenbild, dem man nur unter der Voraussetzung folgen möchte, dass der Film die nötige Klugheit und ästhetische Stringenz hat.

Bei Dumont ist das nicht unbedingt der Fall. Möglicherweise aber ging es dem Regisseur vor allem darum, dem state of the art gegenwärtiger Kinobilder vom Krieg etwas entgegenzuhalten, und das ist ihm sehr wohl gelungen: Statt auf beschleunigte, rasch montierte, mit vielen Nahaufnahmen operierende Sequenzen setzt er auf ruhige Totalen und Halbtotalen. So lässt er keinen Zweifel: Krieg tut nicht nur verdammt weh, er sieht auch verdammt schlecht aus.

Eher der vertrauten Kriegsfilmikonografie folgt Rachid Bouchareb in „Indigènes“ („Eingeborene“), einem Film über die Teilnahme nordafrikanischer Soldaten am Zweiten Weltkrieg aufseiten der Kolonialmacht Frankreich. Dass sie als Soldaten zweiter Klasse behandelt werden, macht Bouchareb von Anfang an deutlich. Zweifellos berührt „Indigènes“ ein wichtiges Thema, und dennoch gelingt es dem französischen Filmemacher nicht, eine überzeugende Form dafür zu finden. Eine wichtige Auszeichnung gab es dennoch für „Indigènes“: Das Ensemble der Hauptdarsteller, Jamel Debbouze, Samy Naceri, Roschdy Zem, Sami Bouajila und Bernard Blancan, teilt sich den Preis für den besten männlichen Darsteller. CRISTINA NORD