Die Machtprobe

SPD Bis Mittwoch, fünf Uhr früh, konnte Sigmar Gabriel die Koalitions-Kritiker gebrauchen: als Drohkulisse gegen die Union. Jetzt muss er ihnen Lust aufs Regieren machen. Schafft er das?

■ Der Entscheid: 473.000 SPD-Mitglieder werden per Briefwahl über die Große Koalition abstimmen. Landesverbände und Bezirke organisieren Regionalkonferenzen, auf denen die Parteiführung den Koalitionsvertrag erklärt.

■ Die Auszählung: Die Briefe müssen spätestens am 12. Dezember um 24 Uhr im Postfach des Willy-Brandt-Hauses liegen. Hunderte Ehrenamtliche werden sie dann in einer Halle in Berlin-Kreuzberg auszählen. Die Partei hat extra zwei Hochleistungsschlitzmaschinen besorgt, die jeweils 20.000 Briefe pro Stunde öffnen können. Das Ergebnis soll am 14. oder 15. Dezember vorliegen.

■ Und dann? Wenn die SPD-Basis für die Große Koalition stimmt, werden Union und SPD die Ressortzuschnitte der Ministerien und deren Besetzungen bekannt geben. Die Abgeordneten aller drei Parteien werden Angela Merkel am 17. Dezember im Bundestag zur Kanzlerin wählen. Für Merkel wäre es ihre dritte Amtszeit.

AUS HOFHEIM UND BERLIN ARNO FRANK
, STEFAN REINECKE
UND ULRICH SCHULTE

Am Ende wird Marietta Slomka noch eine Frage haben, die Sigmar Gabriel kurz aus der Fassung bringt. Bis dahin aber läuft für ihn in der Stadthalle von Hofheim am Taunus drei Stunden lang alles nach Plan. 900 Menschen sind gekommen, alles voll.

Der SPD-Chef wirkt ausgeglichen und gelassen. Auch als er gleich am Eingang ein Flugblatt der Jungsozialisten in die Hand gedrückt bekommt: ein kleiner roter Fisch darauf, der arglos ins Maul eines großen schwarzen Fisches schwimmt. So sieht die Angst der Sozialdemokraten aus: Werden wir wieder geschluckt?

Dieser Angst muss sich Gabriel stellen. Er preist in seiner Rede den Mindestlohn, die Bankenregulierung und die „Trendwende“ in der Europapolitik, als wär’s ein „sozialdemokratischer Koalitionsvertrag“. Das sage doch selbst der designierte FDP-Chef Lindner: „Ruft den an, wenn ihr mir nicht glaubt!“

Er beschwört, er schmeichelt, er klingt manchmal fast zärtlich weich, als redete er einem Kind ins Gewissen.

Die Regionalkonferenz erinnert ein wenig an die Versammlung einer weitverzweigten Familie, deren Mitglieder alle ganz schön alt werden können, die der aufgekratzten Jugend in ihren „We Are Anonymous“-T-Shirts aber wohlwollend begegnen. Alle wissen, dass ganz Deutschland gerade zuschaut. Daran erinnern all die hektischen Kamerateams.

Gabriel muss die Ängste auf das Niveau berechtigter Sorgen abkühlen, um sie in rationale Bedenken zu verwandeln. Dann kann er sie zerstreuen.

Regieren dürfe nicht zum Selbstzweck werden?

„Ja, aber Nichtregieren darf auch nicht zum Selbstzweck werden!“, ruft der Parteivorsitzende.

Es funktioniert, er kommt an. 47 Wortmeldungen gibt es an diesem Abend, nur vereinzelte sind kritisch. Was ist mit der Maut? Mit dem Adoptionsrecht für homosexuelle Paare? Mit der Residenzpflicht? Auf alle Einwände geht Gabriel akribisch ein.

Eine „fröhliche Veranstaltung“, findet er. Sicherlich hätte er auch Marietta Slomka im „heute journal“ gern von dieser guten Stimmung erzählt, hinter ihm, als Kulisse, die Genossen. Vor ihm die Kamera, in deren Licht er plötzlich etwas zerknautscht und verschwitzt wirkt. Dann will Slomka aber nur wissen, ob diese Mitgliederbefragung nicht verfassungswidrig sei. Da schaltet Sigmar Gabriel das erste Mal an diesem Abend auf Angriff. „Blödsinn.“ Diese Argumente könne er nicht ernst nehmen: „Lassen Sie uns diesen Quatsch beenden.“

Sein großer Moment ist da schon ein bisschen her. Mittwochmittag, dutzende Kamerateams drängeln sich vor Gabriel, Angela Merkel und Horst Seehofer. Die drei Parteichefs stellen den Koalitionsvertrag vor. Den Vertrag, den Gabriel als einen 185 Seiten starken Beweis betrachtet, dass die SPD etwas bewirken wird in dieser Regierung.

Fotokameras rasseln leise. Gabriel, die Krawatte etwas schief, grinst. Er hat tiefe Furchen in der Stirn und Tränensäcke unter den Augen, aber er ist blendend gelaunt.

Der SPD-Chef genießt diesen Moment zu sehr, um sich kurz zu fassen. Er darf es auch nicht. In dieser Sekunde startet seine Werbetour. Für diese Regierung, für die neue SPD, für sich, den möglichen Vizekanzler.

Er muss der SPD eine neue Erzählung anbieten, die diese große Koalition des Jahres 2013 zu etwas Positivem macht – für das Land, vor allem aber für seine Partei. Gabriel redet und redet, 16 lange Minuten. Er spricht schon da nicht nur zu den Hauptstadtjournalisten, sondern vor allem zur eigenen Basis. Sigmar Gabriel erzählt von Lastwagenfahrern, von Fliesenlegern und Altenpflegerinnen. Dieser Koalitionsvertrag, sagt er, sei ein „Vertrag für alle kleinen, fleißigen Leute, die jeden Tag ihrer Verantwortung nachkommen“.

Das ist sein Versprechen. Seine große Aufgabe. Er will die melancholische Sozialdemokratie versöhnen. Keine andere Partei in Deutschland leidet so an sich selbst. Agenda 2010, Hartz IV, Rente mit 67. Die SPD hat viele Dinge beschlossen, die sie irgendwie fürchterlich, aber auch notwendig fand, daran wäre sie fast zugrunde gegangen. Gabriel sieht derzeit besonders einen Weg: Er will die SPD wieder zur Partei der kleinen Leute machen. Er muss dabei auch das Trauma der ersten Großen Koalition mit Merkel überwinden – an deren Ende die SPD eine 23-Prozent-Partei war.

Die Mitglieder der SPD, verspricht Gabriel, Merkel schaut schon ein wenig mürrisch, würden dem Vertrag sicher zustimmen. „Heute wie vor 150 Jahren wollen Sozialdemokraten das Leben für Menschen besser machen.“ Das sagt er am Mittwoch in Berlin, am Donnerstag in Hofheim. Das wird er in den kommenden Tagen noch dutzende, hunderte Male sagen. Es ist eine kluge Strategie mit enormem Risiko. Scheitert der Entscheid, ist Gabriel gescheitert.

Doch es geht in den nächsten zwei Wochen nicht nur um sein Schicksal, wenn die 473.000 Mitglieder der zweiten Volkspartei neben der CDU per Briefwahl abstimmen. Siegt die Lust an der Macht, am Gestalten? Oder die Furcht vor einer neuen Enttäuschung? Angesichts derart großer Fragen scheint Gabriels Neigung zu großen Worten plötzlich ganz angemessen.

So stark der Vorsitzende im Moment wirkt, er wird auf Funktionäre angewiesen sein, die seine Lust an der Macht teilen, die seine Erzählung weitertragen. Leute wie Armin Schild.

Schild, 52 Jahre alt, hat für die SPD in der AG Arbeit mitverhandelt, wo es um Mindestlohn, Werkverträge und Leiharbeit ging. Er ist einer der mächtigsten Bezirksleiter der IG Metall, zuständig für 320.000 Gewerkschaftsmitglieder, für Hessen, Rheinland-Pfalz, das Saarland und Thüringen. Er redet breites Hessisch, nicht den weichen Dialekt der Frankfurter, sondern Mittelhessisch, das derber klingt. „Es reicht nicht, nur populistische Forderungen zu haben wie 8,50 Mindestlohn“, sagt er am Dienstag, bevor die Details ausgehandelt werden. Man müsse „Ordnung auf dem Arbeitsmarkt schaffen, auch bei Werkverträgen und Leiharbeit“.

Armin Schild sieht eine Gefahr: dass die Mindestlohn-Kommission künftig die Lohnentwicklung vorgeben könnte, eine bescheidenere. „Mindestlohn ist eine Operation am offenen Herzen der Tarifautonomie.“

Das klingt etwas zu pathetisch für ihn, den Hemdsärmligen, aber es ist ihm ernst. Die Gewerkschaften waren lange gegen Mindestlöhne. Wenn der Staat Löhne festlegt, was machen sie dann noch?

Schild, seit 1992 Sozialdemokrat, seit zwei Wochen im SPD-Vorstand, ist eigentlich ein Linker, der sich Rot-Rot-Grün vorstellen kann. Aber vor allem ist er Gewerkschafter. Praktisch, ergebnisorientiert. Die Abneigung in der SPD gegen die Große Koalition hält er für „reflexhaft“. Reflexe stören, wenn man Interessenpolitik machen will. Mit Großen Koalitionen kennt er sich also aus. „Wir schließen jedes Jahr eine Große Koalition“, sagt er. Die IG Metall mit den Arbeitgebern.

Am Mittwochmittag, als Gabriel in der Bundespressekonferenz den Vertrag vorstellt, sitzt Armin Schild im Café im Willy-Brandt-Haus. Er trägt einen Schlips, der in den 70er-Jahren einmal modern gewesen sein muss. „Dieser Koalitionsvertrag hat eine gewerkschaftliche Handschrift“, sagt Schild jetzt.

Thorsten Schäfer-Gümbel kommt in das leere Café, mit Rollkoffer und weißen Ohrhörern. Man kennt sich, beide sind Mittelhessen. Ein zweiter Parteipromi tritt durch die Tür: Ralf Stegner, ein Linker, der vielleicht Generalsekretär der SPD wird. Beide schauen müde in ihren Kaffee. Eine Stimmung fast wie beim Chillen nach der Party.

Im Wesentlichen sieht es für Armin Schild nach dieser Nacht so aus: „Der Mindestlohn ist ein Riesenschritt.“ Und die Details? Leiharbeiter sollen nur 18 Monate in Firmen arbeiten: die SPD wollte 12, die Union 24. Gleiche Bezahlung gibt es für Leiharbeiter nach 9 Monaten in einer Firma, die Mitte zwischen 6, das war die SPD-Forderung, und 15, so lautete die der Union. Wäre gleicher Lohn für gleiche Arbeit vom ersten Tag an nicht gerecht?

Armin Schild holt aus: Lohnfindung, ein hochkomplexes Geschäft, in das der Staat sich nicht zu sehr einmischen sollte. Und: Leider waren weniger als 9 Monate mit der Union nicht drin. Die Hälfte der Leiharbeiter hat davon nichts, weil sie nur ein halbes Jahr im Betrieb ist. Gut, das sind Details. Die große Linie sieht für Schild trotz allem so aus: „Das neoliberale Zeitalter ist am Ende, jedenfalls als Mainstream-Konzept.“

Die IG Metall zählt gerade zu Gabriels stärksten Truppen.

Er hat seiner Partei – und der Republik – sanfte Korrekturen an der Agenda-Politik verordnet. Er will der Betriebsrat an der Seite Merkels sein. 23 Milliarden Euro neue Ausgaben sind in den nächsten vier Jahren geplant, für bessere Renten, für mehr Brücken, Straßen, für Gaskraftwerke, für mehr Ganztagsschulen.

Gabriels Kurs für die kleinen Leute, schimpfen diejenigen Medien und Politiker, die stets den freien Markt als Allheilmittel preisen, bringe einen verschwenderischen Ausgabenirrsinn mit sich und verspiele die Erfolge der Agenda 2010.

Könnte Schwarz-Rot dem Land am Ende wirklich schaden? Anruf bei Peter Bofinger, einem der bekanntesten Ökonomen. „Die große Vision fehlt dieser Koalition“, sagt er. „Aber: Sie ist besser als alle denkbaren Alternativen, insbesondere besser als Neuwahlen.“ Das Bemühen sei spürbar, die Lebensverhältnisse vieler Menschen zu verbessern.

Bam. Die Juso-Frau haut auf den Tisch

Bofinger, 59, sitzt im Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, als einer der „fünf Wirtschaftsweisen“. Der Volkswirtschaftler läuft über den Campus der Uni Würzburg. Gerade war er in der Mensa, jetzt, auf dem Weg zurück ins Büro, rechnet er die Sache mal kurz durch.

23 Milliarden will die Koalition in der kommenden Legislaturperiode ausgeben, also 5,75 Milliarden pro Jahr. Das Bruttoinlandsprodukt betrug 2012 rund 2,7 Billionen Euro. Das BIP gilt als das wichtigste Maß für die wirtschaftliche Leistung einer Volkswirtschaft, es beschreibt den Wert aller Dienstleistungen und Waren, die in einem Jahr in Deutschland hergestellt werden. Die jährlichen neuen Ausgaben machen nur rund 2 Promille des BIP eines Jahres aus. „Diese Summe kann der Staatshaushalt leicht stemmen“, sagt Bofinger.

Je länger das Telefonat dauert, desto stärker hat man den Eindruck, man zoome sich aus der Mediendebatte in Berlin-Mitte heraus und betrachtet die Dinge plötzlich von sehr weit oben. Fast wie auf Google Maps.

Vernichtet ein Mindestlohn von 8,50 Euro nicht Jobs? „In fast allen hochentwickelten Industriestaaten gibt es Mindestlöhne – etwa in Frankreich, Großbritannien oder den USA. Und arbeitsplatzgefährdende Effekte sind nicht belegt.“

Kommt er 2017 nicht zu spät? „Die Einführung des Mindestlohnes ist etwas Epochales. Ob er ein Jahr früher oder später kommt, ist zweitrangig.“

Bofinger glaubt, dass die Große Koalition wirklich einige Risse im sozialen Gefüge der Republik kitten kann.

Für die Gegner dieser Koalition wiederum ist das wichtigste Argument eine Zahl: 23 Prozent. Da landete die SPD 2009 nach der letzten Großen Koalition, in der Bedeutungslosigkeit. Angela Merkel erscheint Skeptikern als Schwarze Witwe, eine Spinne, die ihre Männchen nach der Paarung verspeist. Erst die SPD, dann die FDP. Jetzt wieder die SPD?

Es ist mit dieser Erinnerung wie mit vielen Erinnerungen. Je öfter man sie sich erzählt, desto mehr glaubt man an sie. Viele in der SPD glauben an diese Ursache des Traumas. Sie übersehen die Rolle der SPD. Sie verschliss in den Jahren bis 2009 vier Vorsitzende, sie verschreckte ihre Stammwähler mit der Rente mit 67, mit einer Mehrwertsteuererhöhung. Doch die Legende hält sich hartnäckig. Auch gegen sie muss Gabriel also ankämpfen.

Wenn Johanna Uekermann, 26, geblümtes Tuch, schwarze Bluse, in einem hippen Kreuzberger Café von ihren Problemen mit der Großen Koalition erzählt, landet ihre rechte Handkante häufiger auf dem Tisch. Der Milchkaffee wackelt.

„Die Finanzierung des Ganzen ist fragwürdig.“ Bam. „Mehr Geld für Kommunen und Bildung, keine neuen Schulden, keine Steuererhöhungen – alles zusammen geht nicht.“ Bam. „Gutverdiener etwas stärker zu belasten ist auch eine Gerechtigkeitsfrage.“ Bam.

Als der Koalitionsvertrag am Mittwoch fertig war, haben sich Uekermann und ihre Juso-Kollegen abends in ihrem Büro in der zweiten Etage des Willy-Brandt-Hauses getroffen. Seite für Seite sind sie den Vertrag durchgegangen. Welche Wahlversprechen werden eingelöst? Nachts um halb zwei stellten sie alles auf die Juso-Homepage. Einen „Grokomaten“, der jedes Thema mit Daumen hoch, runter oder Daumen in der Mitte bewertet. Ergebnis: Drittel, Drittel, Drittel. Nicht einfach.

„Das ist eine schwierige Sache, da gibt es kein Schwarzweiß. Der Entscheid ist schon allein deshalb gut, weil sich jetzt alle ernsthaft mit unseren Inhalten befassen“, sagt Johanna Uekermann. Nicht nur die Finanzen stören sie, ihr fehlen auch ein klarer Kurswechsel in Europa, bessere Regelungen für die Ausbildung.

„Ich kann meine Tendenz sagen“, sagt Uekermann. „Die ist Nein.“

Die Kritiker werden leiser. Was wäre bei einem Nein?

Sie will sich nächste Woche auf dem Bundeskongress der Jusos zur Chefin wählen lassen. Ein bisschen Rebellentum kommt da nicht schlecht. Aber ihre Grundabneigung wirkt ehrlich: zu müde, zu viel Kompromiss, zu wenig Überzeugung.

Uekermann wird ihre Skepsis jetzt in die Partei tragen. Sie wird gegen Armin Schild arbeiten, gegen Gabriel. Sie wird das nicht laut tun, aber deutlich.

In der SPD beginnt die Phase, in der die Gegner dieser Koalition stiller werden, vorsichtiger, in der manche umschwenken. Es geht jetzt um Loyalität. Seit Gabriel Mittwochvormittag den Koalitionsvertrag unterschrieben hat, ist Widerstand dagegen eine Revolte gegen Gabriel und Andrea Nahles, seine Generalsekretärin. Eine Revolte ohne positives Ziel, ohne personelle Alternative.

Auch René Lindenberg ist im Laufe der Woche vorsichtiger geworden. Er ist Landesgeschäftsführer der SPD in Thüringen. In Thüringen regiert die SPD seit 2009 mit der CDU – die Erfahrung ist bestenfalls gemischt. Nächstes Jahr ist Landtagswahl, und die SPD wirkt hilflos eingeklemmt zwischen CDU und Linkspartei. Und jetzt auch noch eine Große Koalition in Berlin. Der Kreisvorstand in Erfurt hatte noch am 14. November beschlossen: „Wir lehnen die Große Koalition ab.“ Ohne Wenn und Aber.

Bei Mindestlohn und Rente, sagt Lindenberg nun am Donnerstagnachmittag, gebe es schon „klare Siege für die SPD“. Auch die SPD-Kreisvorsitzende im Kyffhäuserkreis Cornelia Kraffzick, die dem Koalitionsvertrag nicht zustimmen wollte, wird nun doch ein Ja empfehlen – nach einer Konferenzschaltung mit Sigmar Gabriel.

Manche Gegner bleiben hart. Nicht nur enttäuschte Westlinke. Auch Erfurts populärer Bürgermeister Andreas Bausewein hält weiterhin nichts vom Bündnis mit Merkel.

Jeder muss für sich selbst entscheiden, sagen jetzt Gegner und Befürworter des Vertrages. So hat es auch Johanna Uekermann formuliert. So lautet das Wording, die pazifizierende Formel, die die Entscheidungsfreiheit der Einzelnen betont. Aber sind die Genossinnen und Genossen frei?

Sigmar Gabriels bestes Argument ist wahrscheinlich nicht der Mindestlohn, den man Dienstagnacht erfolgreich gegen CSU-Chef Horst Seehofer verteidigt hat, der auf einmal ganz viele Ausnahmen wollte. Das stärkste Argument der SPD-Führung kann man in eine einfache Frage kleiden: Was wäre denn, wenn die Partei mit Nein stimmte?

Ein Parteichef würde stürzen, schon wieder. Dabei hatte es doch Sigmar Gabriel geschafft, die Zeit der Wechsel an der Spitze zu beenden. Wer mit Nein stimmt, das ist die stille Drohung, schickt nicht nur die Parteiführung, sondern die ganze SPD ins Chaos. Schwarz-Grün wäre dann noch das beste. Die Partei könnte aber auch mit blamierter Führung in Neuwahlen taumeln, politisch und finanziell nah an der Pleite.

In Hofheim, bei seiner Rede in der vollen Stadthalle, erinnert Gabriel die Genossinnen und Genossen noch einmal daran. Bei der Abstimmung hätten sie „die gleiche Verantwortung wie ich“.

Er glüht fast ein wenig, als er das sagt.

Arno Frank, 42, ist taz-Korrespondent in Hessen

Stefan Reinecke, 54, ist taz-Parlamentskorrespondent

Ulrich Schulte, 39, leitet das Parlamentsbüro der taz