: Schwierigkeiten beim Kurswechsel
IRAN Der Genfer Atomdeal wurde den Iranern als „historischer Sieg“ verkauft. Doch die Details des Vertrags lassen sich auch anders interpretieren
VON BAHMAN NIRUMAND
Staatspräsident Hassan Rohani und sein Außenminister Dschwad Sarif beherrschen nicht nur das diplomatische Handwerk, sie sind auch mit moderner Werbung bestens vertraut. Beide sind eifrige Twitterer, beherrschen den Umgang mit den Medien und die Kniffe der Inszenierung. Der Einsatz dieser Mittel war auch nötig, um das Magere, das das iranische Atomverhandlungsteam in Genf erreicht hatte, als „historischen Sieg“ zu verkaufen. Nach der Unterzeichnung des Abkommens konnte die Bevölkerung damit zunächst in Euphorie versetzt werden. Aber der großen Freude folgte mit dem Bekanntwerden der Details die große Ernüchterung.
Revolutionsführer Ali Chamenei, der als höchste Instanz zu wichtigen Fragen das letzte Wort hat, erteilte dem Abkommen, wenn auch doppeldeutig, seinen Segen. Den schriftlichen Bericht von Rohani über das „erfolgreiche“ Abkommen kommentierte er kurz: „Das, was Sie als Erfolg geschildert haben, ist zu begrüßen, und dem Verhandlungsteam und anderen Mitwirkenden gebührt dafür Dank“.
Das Abkommen schränkt das iranische Atomprogramm erheblich ein. Zudem erhalten Inspektoren der Internationalen Atombehörde (IAEO) täglichen Zugang zu den Anreicherungsanlagen und den Fabriken, in denen Zentrifugen hergestellt werden, sowie zu den Uranförderanlagen. Der gesamte Vorrat von bis zu 20 Prozent angereichertem Uran muss in Brennstoff verwandelt oder auf fünf Prozent abgeschwächt werden.
Für diese erheblichen Zugeständnisse erhielt Iran nur geringe Gegenleistungen. Das Recht des Landes auf Urananreicherung wird nicht ausdrücklich anerkannt. Die harten Sanktionen bleiben im Kern bestehen. Lockerungen gibt es lediglich im Automobil- und Goldsektor, beim Export von petrochemischen Produkten und bei der Einfuhr von Medikamenten und Nahrungsmitteln. In den kommenden sechs Monaten darf Iran lediglich über 7 Milliarden Dollar seines auf ausländischen Banken eingefrorenen Guthabens von 100 Milliarden Dollar verfügen. Ferner darf die Ölproduktion nicht gesteigert werden, was im Vergleich zu der Zeit vor den Sanktionen ein Verlust von mindestens 30 Milliarden Dollar bedeutet. Nach wie vor kann das Land nur über einen geringen Teil der durch den Verkauf von Öl erzielten Einnahmen verfügen. Banken bleiben ebenso sanktioniert wie die Einschränkungen der Versicherungsgesellschaften und des Schiffstransports.
Mit jedem Tag, der vergeht, und mit jedem Detail des Abkommens, das die Menschen über die Auslandssender und das Internet erfahren, wächst die Zahl der Enttäuschten. Viele fragen sich, ob der seit zehn Jahren andauernde Kampf im Atomkonflikt, die internationale Isolierung des Landes und die Hinnahme schwerer Sanktionen sich gelohnt haben. Mit diesen Zugeständnissen hätte man, auch bevor die Sanktionen verhängt wurden, wesentlich bessere Ergebnisse erzielen können.
Der Grund für das Einlenken Irans bestand wohl in der Einsicht, dass der radikale Kurs über kurz oder lang das Land in den Abgrund führen würde. Die Staatsführung der Islamischen Republik und allen voran Revolutionsführer Chamenei befürchteten offensichtlich, dass die katastrophale wirtschaftliche Lage, die durch Misswirtschaft, Korruption und nicht zuletzt durch die harten Sanktionen zustande gekommen ist, jederzeit zu sozialen Unruhen führen könnte. Auch die Gefahr eines Krieges rückte immer näher. Der Entschluss zu einer Kursänderung wird bereits Monate vor der Präsidentenwahl im Juni getroffen worden sein.
Wie die Nachrichtenagentur AP berichtete, habe es bereits im März geheime Verhandlungen zwischen dem Iran und den USA gegeben. Demzufolge haben sich Vertreter beider Länder mindestens fünfmal in Oman getroffen. Bei diesen Gesprächen, von denen nur die höchsten politischen Instanzen wussten, sollen die Weichen für einen gewichtigen diplomatischen Deal gelegt worden sein. Anzunehmen ist, dass es bei diesen Treffen nicht nur um den Atomkonflikt ging, sondern auch um die Konflikte in Afghanistan, Irak, Syrien, Libanon und Palästina, zu deren Lösung die USA und EU auf die Unterstützung Irans angewiesen sind.
Ohne den zuvor geplanten Kurswechsel wäre die Wahl Rohanis kaum denkbar gewesen. Für Chamenei und die ihm unterstehenden Organe wäre es ein Leichtes gewesen, die Wahlen zu manipulieren und wieder einen Radikalen wie Ahmadinedschad aus den Wahlurnen herauszuzaubern.
Für die Mehrheit der Bevölkerung Irans ist vermutlich nicht ausschlaggebend, wieweit die Regierung sich den Forderungen des Westens gebeugt hat. Der Mittelstand, Unternehmer, landwirtschaftliche Produzenten und die Schar der Arbeitslosen hoffen auf die Aufhebung der Sanktionen, unter denen sie schwer zu leiden haben, und die Reformer, Kulturschaffende und die Jugend darauf, dass das Land sich nach innen und außen öffnet.
Dieser Mehrheit, die Rohani gewählt hat, steht eine Minderheit von Radikalen gegenüber, die über eine beachtliche politische, wirtschaftliche und militärische Macht verfügt. Nun wird es Chamenei, der selbst zu den Radikalen gehört, sehr schwer haben, diese Minderheit, die mit antiwestlicher Ideologie behaftet ist, auf den Boden der Realität zurückzuholen und sie von der Notwendigkeit der Versöhnung mit dem „großen Satan“ USA zu überzeugen. Diese Minderheit erhebt jetzt nach und nach ihre Stimme.
Der Abgeordnete Ruhollah Hosseinian sagte nach der Berichterstattung des Außenministers im Parlament: „Wir sollten offen sagen, was wir gegeben und was wir bekommen haben.“ Das Abkommen sei weder ein „Gifttrunk noch eine erfreuliche Errungenschaft“. Der Abgeordnete Mehrdad Bazrpasch sagte: „Die Nachrichten, die wir bisher erhalten haben, besagen, dass praktisch nahezu das ganze Atomprogramm stillgelegt werden soll. Ich habe nicht verstanden, was wir als Gegenleistung bekommen haben.“
Aus der Sicht der Radikalen hat die Islamische Republik, zu deren Substanz die antiwestliche Ideologie gehört, bereits mit dem überraschenden Telefonat zwischen Rohani und US-Präsident Barack Obama ihre Unschuld verloren. Mit dem Abkommen von Genf hat nun der „große Satan“ die verbotene Schwelle zum Gottesstaat überschritten.