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Archiv-Artikel

Prozess wegen Antisemitismusvorwurf

Rumänischer Exdissident verklagt 16 Personen, Zeitungen und Bukarester Präsidialkanzlei wegen Verleumdung

BERLIN taz ■ 16 Personen, darunter der Friedensnobelpreisträger Elie Wiesel sowie der taz-Autor William Totok, ein Verlag und die Bukarester Präsidialkanzlei stehen ab heute in der rumänischen Hauptstadt Bukarest vor Gericht. Kläger ist der frühere rumänische Dissident Paul Goma. Sein Vorwurf lautet auf Verleumdung und üble Nachrede, da die Beklagten ihn des Antisemitismus und der Verharmlosung des Holocaust bezichtigt hätten.

Goma hatte 1977 eine Protestbewegung gegen das kommunistische Ceaușescu-Regime organisiert, kam dafür ins Gefängnis und ging später ins Exil. In den vergangenen Jahren waren ihm wiederholt ein massiver Rechtsschwenk sowie offen antisemitische Äußerungen vorgeworfen wurden. So heißt es beispielsweise in Gomas 2004 erschienenem Buch „Die rote Woche“ auf Seite 273: „Der rumänische Holocaust ist eine Lüge, ein Schwindel, eine abscheuliche Drohung (Portemonnaie oder Leben!).“ Unter der Herrschaft des faschistischen Militärdiktators und Hitlerverbündeten Ion Antonescu in Rumänien wurden schätzungsweise 410.000 Juden und 30.000 Roma ermordet. Antonescu wurde 1946 wegen Kriegsverbrechen hingerichtet.

Im November 2004 legte eine Internationale Kommission zur Erforschung des rumänischen Holocaust unter Vorsitz von Elie Wiesel ihren Abschlussbericht vor. Darin heißt es: „Das Leitmotiv seines letzten Buches „Die rote Woche“ kann wie folgt zusammengefasst werden: Der Rote Holocaust, den sie (die Juden) mit geplant haben, begann für uns Rumänen ein Jahr früher als ihrer: am 28. Juni 1940, und er ist auch heute nicht vorbei.“

Goma wehrt sich nicht zum ersten Mal gegen den Vorwurf des Antisemitismus. Am 8. September 2005 hatte er in der rumänischen Zeitung Ziua einen Text veröffentlicht, in dem er sich als Opfer einer Kampagne darstellte. Er kündigte an, gegen den Vorsitzenden des rumänischen Schriftstellerverbandes Anzeige zu erstatten, weil dieser den Vizechefredakteur der Verbandszeitschrift Viata Romaneasca entlassen hatte. Dem verantwortlichen Redakteur wurde vorgeworfen, einen als antisemitisch eingestuften Text Gomas veröffentlicht zu haben.

„Der Versuch Gomas, ein Verfahren in Gang zu bringen, erinnert fatal an das Vorgehen von David Irving“, sagt der Publizist und taz-Autor William Totok. Auch dieser habe 1996 gegen die Historikerin Deborah Lipstadt einen Verleumdungsprozess angestrengt, weil er angeblich zu Unrecht als „Holocaust-Leugner“ bezeichnet worden sei. „Wie der Prozess ausging, ist ja bekannt“, sagt Totok.

In Situationen, wo es darum ging, das rumänische Gesetz anzuwenden, das Antisemitismus und Holocaust-Leugnung untersagt, habe sich die rumänische Justiz bislang neutral verhalten, dabei aber dem Schutz der Meinungsfreiheit den Vorzug gegeben, meint Mihai Dinu Gheorghiu vom Zentrum für Europäische Soziologie in Paris, der auch auf der Anklagebank sitzt. „Jetzt sind die Richter gezwungen, für die eine oder die andere Partei eindeutig Position zu beziehen. Die Frage ist, wie die rumänische Justiz diesen Test am Vorabend der Aufnahme in die Europäische Union meistern wird.“

Wie schwer sich Rumänien immer noch mit dem Erbe der Antonescu-Diktatur tut, zeigt auch der Fall von Vladimir Tismaneanu. Der Politologe, der in Rumänien geboren wurde, aus einer jüdischen Familie kommunistischer Parteifunktionäre stammt und jetzt in den USA lehrt, wurde unlängst an die Spitze einer rumänischen Präsidialkommission zur Erforschung der kommunistischen Diktatur in Rumänien berufen. In mehreren Artikeln wurde ihm unterstellt, die Arbeit seiner Kommission ziele auf die Reinwaschung der Juden als antirumänische Agenten des Sowjetbolschewismus und der ehemaligen Parteinomenklatura. Die Zeitung Ziua schrieb: „Das Ziel von Tismaneanus Kommission besteht darin, den Kommunismus nach 1965 zu verurteilen und dabei jene auszusparen, die den Kommunismus mit Kanonen ins Land gebracht haben.“

BARBARA OERTEL