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Der Minister verschenkt Verschmutzung

Umweltminister Sigmar Gabriel (SPD) verteilt Rechtstitel für den Ausstoß von Kohlendioxid an die Wirtschaft. Gegen dieses „10-Milliarden-Geschenk“ protestieren Umweltschützer. Sie fordern eine Versteigerung statt der kostenlosen Zuteilung

VON STEPHAN KOSCH UND NICK REIMER

Sechs Menschen hingen gestern auf 22 Meter Höhe in den Seilen. Die Greenpeace-Aktivisten kletterten an der Fassade der SPD-Zentrale in Berlin herum, wo sie mittels eines großen Transparentes erklärten: „SPD-Politik 2006: kein Geld für Kinder, Kranke, Rentner – aber 10 Milliarden Euro für RWE, Vattenfall und Co“. Hintergrund der Aktion: Bundesumweltminister Sigmar Gabriel (SPD) hatte Anfang April seine Vorstellungen für einen modernen Klimaschutz veröffentlicht und um Stellungnahmen gebeten. Heute ist der letzte Tag, um Einwände gegen des Ministers Entwurf zu erheben.

Die so genannte zweite Stufe des Emissionshandels regelt, wie viel Tonnen klimaschädliches Kohlendioxid die deutsche Wirtschaft künftig ausstoßen darf. Um die Erderwärmung zu stoppen, muss drastisch Kohlendioxid (CO2) gespart werden, auch in der Produktion der Industrie. Die Reduzierung soll durch den Handel mit CO2-Aktien – im Fachjargon „Zertifikate“ – erreicht werden. Jeder Produzent verfügt über ein begrenztes Paket. Wer in Ökotechnik investiert, spart Aktien, die er verkaufen kann. Wer mehr CO2 erzeugt, muss Aktien erwerben.

Wie viele Zertifikate die etwa 2.400 in den Handel einbezogenen Betriebe vom Staat zugeteilt bekommen, regelt der Nationale Allokationsplan, NAP genannt. Bis 30. Juni muss die Bundesregierung diesen verabschieden und an die EU melden. Laut Gabriel müssen die Stromkonzerne ihren Ausstoß in der zweiten Handelsperiode zwischen 2008 und 2012 um 15 Prozent senken, die deutsche Industrie dagegen muss ihn nur um 1,25 Prozent verringern. Sonst würden die Nachteile im internationalen Wettbewerb zu groß.

Was Umweltschützer nun besonders ärgert: Die Unternehmen bekommen ihre Zertifikate, wie schon in der ersten Handelsperiode, umsonst zugeteilt. Für die Stromkonzerne bedeute das bei einem Zertifikatspreis von 20 Euro pro Tonne CO2 „ein Geschenk von insgesamt 10 Milliarden Euro“, moniert Greenpeace-Klimaexpertin Gabriela von Goerne.

Dabei haben RWE, Eon und Co. mit dem zeitweise hohen Wert der Zertifikate zum Teil ihre Preiserhöhungen der jüngsten Zeit begründet. Reinhard Loske, Umweltexperte der Grünen im Bundestag, geht davon aus, dass die Konzerne weiter „doppelt abkassieren“. Die Grünen stellten gestern ihren NAP2-Entwurf vor und forderten unter anderem eine nach EU-Recht mögliche Versteigerung von 10 Prozent der Rechte. Der Erlös solle in einen Klimaschutzfonds fließen. Doch nicht nur Umweltschützer melden sich zu Wort. Auf der Homepage des Umweltministeriums findet sich auch eine Stellungnahme der Gewerkschaft IG BCE, die die Mitarbeiter der Stromwirtschaft und des Bergbaus vertritt. 15 Milliarden Euro koste der NAP2 den „Industriestandort Deutschland“, die über die Strompreise letztlich die Verbraucher tragen würden. Um die Wirtschaft nachhaltig wachsen zu lassen, brauche sie mehr CO2 Emissionsrechte als in der ersten Periode von 2005 bis 2007.

Dabei liegt Gabriels Vorgabe von 495 Millionen Tonnen Kohlendioxid nur leicht unter der der ersten Handelsphase, in der die Unternehmen Zertifikate für 503 Millionen Tonnen Kohlendioxid jährlich erhielten. 21 Millionen Tonnen zu viel, wie sich kürzlich zeigte. Ende April brach der Kurs dramatisch ein: von 31 Euro je Tonne Kohlendioxid auf 9 Euro je Tonne. So waren 2005 in Deutschland 4,3 Prozent mehr Verschmutzungsrechte in Aktienform auf dem Markt, als die Betriebe tatsächlich brauchten.

Auch das Bundesumweltministerium räumt ein, dass zu viele Zertifikate ausgeteilt worden seien. „Oftmals sind Sonderregelungen Ursache, die gar nicht notwendig waren“, erklärt Ministeriumssprecher Thomas Hagbeck. Diese Zertifikate würden „bei den Unternehmen aber wieder eingesammelt“, erklärt das Ministerium.

www.bmu.de

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