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Archiv-Artikel

american pie Sieg über Epidemie und Gegner

Die Edmonton Oilers stehen im Endspiel um den Stanley-Cup in der NHL. Es ist der größte Erfolg für die Kanadier seit der legendären Ära Wayne Gretzky

Wenn draußen der Sommer ausbricht und drinnen die Bärte immer dicker werden, dann ist Playoff-Zeit in der National Hockey League (NHL). Die Natur erwacht, und moosdicht sind mittlerweile auch die Flechten auf den Backen der weltbesten Kufenflitzer gewachsen. Nicht nur die schöne alte Tradition, das Kinn so lange nicht zu rasieren, bis man aus den Playoffs ausgeschieden ist, erlebt momentan eine ungeahnte Renaissance, auch die Liga selbst feiert nach dem Streik, der die gesamte vergangene Saison zum Opfer fiel, ein sensationelles Comeback und schließlich sind sogar die Edmonton Oilers wiederauferstanden.

Nach Jahren der Mittelmäßigkeit haben die Oilers nun sogar das Stanley-Cup- Finale erreicht. Mit 4:1 Siegen wurden in der Vorschlussrunde die Mighty Ducks aus Anaheim aus dem Turnier befördert. Ein Erfolg, der beileibe nicht so souverän war, wie das nackte Ergebnis nahe legt, schossen die mächtigen Enten doch in jedem Spiel deutlich häufiger aufs gegnerische Tor als die Oilers. Aber die warfen sich mit solcher Vehemenz in die Schlagschüsse, dass Teemu Selanne, Anaheims finnischer Star verzweifelte: „Ich denke nicht, das bessere Team hat uns geschlagen. Wir haben uns selbst geschlagen. Ich habe noch nie erlebt, dass so viele Schüsse von den Verteidigern geblockt wurden.“

Aber egal, wie sie dahin gekommen sind: Dass die Oilers im Finale stehen, ist eine Sensation in einer an Sensationen nicht gerade armen NHL-Spielzeit. Seit man in den Achtzigerjahren – vor allem dank eines gewissen Wayne Gretzky – gleich fünfmal den Titel gewinnen konnte, musste der Klub jahrelang die besten Spieler an finanzstärkere Franchises abgeben. In Trainerstab und Management tummeln sich nun zwar die ehemaligen Stanley-Cup-Sieger, aber der Kader besteht vornehmlich aus hoffnungsvollem Nachwuchs und ewigen Talenten. Davon, dass nach dem langen Streik die Karten vollkommen neu gemischt wurden, profitierte auch das zwar eishockeyverrückte, aber doch recht kleine Edmonton und sicherte sich die Dienste der Stars Chris Pronger und Chris Peca. Als die beiden bei einer Pressekonferenz vor der Saison präsentiert wurden, erschienen 3.000 Fans. Trotzdem rutschte das Team gerade noch so als achtes und letztes Team in die Playoffs. Noch nie zuvor hat ein an Acht gesetztes Team das Stanley-Cup-Finale erreicht.

Ohne Heimvorteil hat man sich nun nicht nur gegen die scheinbar übermächtigen Detroit Red Wings, die San Jose Sharks und schließlich Anaheim durchgesetzt, sondern auch gegen eine Influenza, die in der Umkleidekabine grassiert. Ein Drittel der Spieler hatte mit dem Grippe-Virus zu kämpfen, darunter auch Torhüter Dwayne Roloson, der sich in der Drittel-Pause schon mal übergeben musste, aber trotzdem sensationell hielt. Vor dem letzten Spiel gegen Anaheim meldete er sich als vollkommen gesundet zurück: „Ich bin 100-prozentig fit: Ich habe ein paar Bissen und Schlucke bei mir behalten, es war ein großartiger Tag.“ Manager Kevin Lowe wollte gar „eine Epidemie“ ausgemacht haben und offenbarte neue medizinische Erkenntnisse: „Zu dieser Jahreszeit wird so viel Adrenalin ausgeschüttet, das wird uns helfen.“ Es half tatsächlich: Der 2:1-Sieg brachte die grippegeschüttelten Oilers ins Finale.

Als Endspielgegner allerdings wird man es mit einem noch größeren Außenseiter zu tun bekommen. Wer vor den Playoffs in Las Vegas einen Dollar auf Edmonton gesetzt hat, wird 30 bekommen, sollten die Oilers tatsächlich den Stanley Cup gewinnen. Im zweiten Halbfinale führen die Carolina Hurricanes mit 3:2 Siegen gegen die Buffalo Sabres: Für diese beiden Team gab es vor der Saison sogar Quoten von 60:1. THOMAS WINKLER