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Archiv-Artikel

Die Proteste reißen nicht ab

UKRAINE Demonstranten blockieren Regierungsgebäude in Kiew. Immer wieder kommt es zu Provokationen von Schlägertrupps. Krim fordert Verhängung des Ausnahmezustands

„Bist du noch am Leben? Willst du noch die Revolution?“

Polizist zu niedergeschlagenem Demonstranten

VON JURI DURKOT

BERLIN taz | In der ukrainischen Hauptstadt Kiew sind die Demonstrationen für die EU-Annäherung und gegen die Regierung auch am Montag weitergegangen. Am Morgen blockierten rund 5.000 Demonstranten das Regierungsgebäude in Kiew. Sie forderten den Rücktritt der Regierung von Premierminister Mykola Asarow. Das Parlament konnte sich bislang nicht auf eine Abstimmung über ein Misstrauensvotum einigen. Neben dem Rücktritt der Regierung fordert die Opposition auch die Freilassung der inhaftierten Oppositionsführerin Julia Timoschenko.

Die Situation hatte sich am Sonntagabend weiter zugespitzt, als es zu neuen Zusammenstößen zwischen der Polizei und einer Gruppe von Demonstranten am Lenin-Denkmal kam. Es gab auch Gerüchte, die Polizei werde versuchen, die mittlerweile wiederaufgebaute Zeltstadt auf dem Unabhängigskeitsplatz (Maidan) mit Gewalt aufzulösen. Dazu kam es nicht. Mehrere Quellen berichten aber, dass Sondertruppen des Innenministeriums aus anderen Regionen des Landes nach Kiew beordert werden.

Unterdessen begannen die Protestierenden Barrikaden in den Nebenstraßen des Maidan zu errichten. Die Opposition weigerte sich, die am Vortag besetzten Gebäude der Kiewer Stadtverwaltung und der Gewerkschaften, wo sie ihren Stab eingerichtet hatte, zu verlassen. Die Armee blieb bisher in den Kasernen, wie der ehemalige Verteidigungsminister Anatolij Hryzenko mitteilte.

Am Sonntag waren in Kiew mehr als 165 Menschen teilweise schwer verletzt worden, darunter über 40 Journalisten. Kameraleute berichteten, dass eine Sondereinheit der Polizei gezielt auf die Presse losgegangen sei. Zwar wurde die Polizei von einer Truppe von Rechtsextremisten provoziert, doch war das Vorgehen der Sondereinheit äußerst brutal. Das ukrainische Fernsehen zeigte Bilder von vermummten Polizisten, die auf liegende Menschen einschlugen und fragten: „Bist du noch am Leben? Willst du noch die Revolution?“

Die Opposition betonte erneut, dass ihre Aktionen friedlich seien, und forderte die Demonstranten auf, sich nicht provozieren zu lassen. Doch die Lage blieb angespannt. Teilweise vermummte Schlägertypen versuchten immer wieder zu provozieren. Die Polizei sah tatenlos zu. Es handelte sich dabei offensichtlich um junge Leute, die für Straßenkämpfe angeheuert wurden. Der Fernsehsender ZIK zeigte einen Undercover-Bericht, in dem ein junger Mann gesteht, für umgerechnet 13 Euro am Tag für die regierende Partei der Regionen „zu kämpfen“.

Auch in den Regionen war die Situation angespannt. Im westukrainischen Galizien wurde ein Generalstreik ausgerufen, in Lemberg demonstrierten Zehntausende weitgehend friedlich unter Polizeischutz. Das Parlament auf der Krim verabschiedete am Montag eine Resolution, in der es Präsident Janukowytsch zur Ausrufung des Ausnahmezustands auffordert. Andere Gebietsparlamente im Osten und im Süden des Landes würden ähnliche Resolutionen erwägen, berichten ukrainische Medien.

Ein Stadtrat aus Sewastopol rief Russlands Präsidenten Wladimir Putin sogar dazu auf, „dem Brudervolk, der Regierung und dem Präsidenten mit militärischen und anderen Mitteln beizustehen“. Einige Stunden später war dieser Aufruf jedoch von der Website verschwunden.

Diese Entwicklungen bedeuten, dass das Szenario einer Konfrontation zwischen Ost und West wieder ausgespielt werden kann. Vom ukrainischen Präsidenten war in den letzten Tagen nichts zu hören, außer dass er am Dienstag eine viertägige Reise nach China antreten will.