Deutschland tut was für die Nachbarn

TRENDWENDE Die Arbeitskosten stiegen hierzulande zuletzt stärker an als im Euroraum. Forscher begrüßen die Entwicklung: Die Krise in Europa werde abgemildert und die hiesige Wirtschaft angekurbelt

BERLIN taz | In Deutschland hat sich Arbeit zuletzt stärker verteuert als im Durchschnitt der Eurozone. Während 2012 und im ersten Halbjahr 2013 die Arbeitskosten in der Privatwirtschaft in Deutschland im Schnitt um 2,8 Prozent anstiegen, wuchsen sie im Euroraum nur um 2,2 Prozent. Das zeigen neue Daten des gewerkschaftsnahen Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK), die am Montag in Berlin vorgestellt wurden.

Demnach mussten Unternehmen in Deutschland im Schnitt 31 Euro pro Arbeitsstunde aufwenden. Deutschland liegt damit an achter Stelle der 27 EU-Länder. Am teuersten war 2012 eine Arbeitsstunde mit 42,20 Euro in Schweden, am billigsten mit 3,60 Euro in Bulgarien. Zu den Arbeitskosten zählen neben dem Bruttolohn auch Ausgaben, die die Arbeitgeber für die Sozialkassen, Aus- und Weiterbildung und bestimmte Steuern aufwenden.

Arbeitskosten werden gern dazu herangezogen, die Wettbewerbsfähigkeit eines Landes im Vergleich zu anderen Ländern zu beurteilen. Die angeblich einfache Rechnung: stiegen die Arbeitskosten überdurchschnittlich an, dann sinke die Wettbewerbsfähigkeit, weil sich Produkte verteuerten und damit Exportchancen schwänden.

Es ist allerdings komplizierter. Die Arbeitskosten sagen noch nicht viel aus über nachlassende Wettbewerbsfähigkeit. Besser eignen sich dazu die Lohnstückkosten, denn in sie fließt auch ein, wie sich die Produktivität entwickelt hat. Arbeiten Beschäftigte nämlich immer schneller und damit produktiver, so kann das einen Anstieg der Arbeitskosten ausgleichen.

Auch hier zeigt sich allerdings nach den Daten des IMK eine kleine Trendwende. 2012 zogen auch die Lohnstückkosten in Deutschland mit 2,9 Prozent stärker an als im Rest des Euroraums (1,9 Prozent).

Das alles ist laut Gustav Horn, wissenschaftlicher Direktor des IMK, „eine gute Nachricht“. „Den Arbeitnehmern wird mehr Geld in die Taschen gespült, das sie ausgeben können.“ Die zweite gute Nachricht für Horn: Deutschland normalisiere sich. Denn zwischen 2000 und 2012 wuchsen sowohl die Arbeits- als auch die Lohnstückkosten hierzulande jedes Jahr viel langsamer als im restlichen Euroraum. Deutschland konnte so auf Kosten seiner Nachbarn seine Exporte steigern, verschärfte damit aber auch die wirtschaftlichen Ungleichgewichte in Europa. Die aktuelle Trendwende trage daher „zur Milderung der Krise bei“, sagte Horn. Um das fortzusetzen, seien Lohnsteigerungen „um deutlich mehr als 3 Prozent jährlich“ nötig. Die Krisenländer ihrerseits passen sich bereits seit Jahren erzwungenermaßen an: durch drastische Lohnkürzungen und also stagnierende oder sinkende Arbeitskosten.

Das IMK begrüßte auch die Einführung eines allgemeinen Mindestlohns von 8,50 Euro. Der könne dazu beitragen, die niedrigen Löhne des gewerkschaftlich schlecht organisierten Dienstleistungssektors anzuheben. „In der Industrie wird ein Mindestlohn wegen der dortigen hohen Löhne hingegen keine unmittelbaren Konsequenzen haben“, sagte Horn. Durch einen Mindestlohn könnte aber die große Lücke verkleinert werden, die zwischen den Branchen klafft: Während eine Arbeitsstunde in der Industrie 2012 35,10 Euro kostete, waren es im Dienstleistungssektor 28,40 Euro. Der Abstand beträgt fast 20 Prozent – so viel wie in keinem anderen EU-Land. EVA VÖLPEL