: Vom Abbruch der Demokratie
VON ROLAND GÜNTER
Welche Stadt hat schon zwei Weltstars. Die überraschende Antwort: Gelsenkirchen. Mit dem Bau des Theaters wurde Werner Ruhnau 1956/1959 schlagartig weltberühmt. Und das Hans Sachs-Haus, das Alfred Fischer 1921/1928 baute, steht sogar in einem bedeutenden Buch des britischen Kunsthistorikers Nikolaus Pevsner in der Reihe der Welt-Architekturen.
Die beiden architektonischen Weltstars stehen sich gegenüber, aber eine Stadtplanung, die arm an Fähigkeiten ist, kam nicht auf den Gedanken, für sie den Dialog zu inszenieren, den ein gelungener Platz zustande bringen kann. Eben diese Stadtplanung, angeführt vom Gelsenkirchener Baudezernenten Michael von der Mühlen, machte sich daran, das Hans-Sachs-Haus im Stadtzentrum abzureißen – unter Umständen, über die inzwischen bundesweit nicht nur die Fachwelt den Kopf schüttelt.
Einst verhöhnte der Lieder-Sänger Hans Sachs die Abzocker und deren Liebediener. Der Barde könnte dies heute fortstricken. Denn das Gebäude, das in Gelsenkirchens Stadtmitte seinen Namen trägt, hat eine dramatische Geschichte. Nach dem Untergang des Kaiserreiches entstand es als eines der ganz seltenen Denkmäler des Aufbruchs zur Demokratie. Ein mutiger Bürgermeister von Wedelstedt und dessen mutiger Baudezernent Arend holten sich den Architekten Alfred Fischer – damals Leiter der Folkwang-Schule in Essen und Exponent des Deutschen Werkbunds im Ruhrgebiet – um nach rund 500 Jahren das erste Volksrathaus zu bauen: unter einem gemeinsamen Dach Läden, Büros, Verwaltung, Fest und Hotel. Und mit drei langen Fassaden eine wahrhaft großstädtische Atmosphäre.
Man hätte es dann zur Jahrtausendwende so einfach damit haben können, mit ein bisschen neuer Farbe im Innern und Reparaturen, wie man ein Haus repariert, wenn der Schaden greifbar wird. Aber nein, der damalige CDU-Oberbürgermeister von Gelsenkirchen, Oliver Wittke, wollte es in Zeitgeist umwandeln – und vergriff sich so total, dass das Unternehmen vor die Wand fuhr. Er verpachtete das Volksrathaus an die Xeris, eine Tochter der Deutschen Bank, mit dem Bau-Löwen Heitkamp im Gepäck. Für einen Euro pro Jahr und für 25 Jahre. Im Klartext: ein Geschenk des besten städtischen Grundstücks plus Gebäude.
Die Stadt verpflichtete sich umgekehrt, es 25 Jahre lang zu mieten, zu einem nach oben hin offenen Preis, je nach Umbaukosten. Die Deutsche-Bank-Tochter verstand dies als Freibrief, um astronomischen Aufwand zu betreiben, auf den unbegreiflicher Gewinn aufgesattelt wurde. So stiegen die Sanierungskosten von 12,5 Millionen Euro schrittweise auf zuletzt 143 Millionen Euro – in einen Kokon aus Schweigen eingebettet.
Wie einen Schweizer Käse zerlächerten die Sanierer das Gebäude, sie erfanden Baumängel, der Denkmalschutz blieb blind gegen die von Anfang an verfehlten Methoden im Umgang mit der Architektur. Später wurden in diesem Krimi 24 Denkfehler recherchiert. Sie führten dazu, dass der Bauprozess falsch gesteuert wurde – „versteuert“, wie es Karl Ganser, einst Chef der Internationalen Bauausstellung Emscher Park, auf den Punkt brachte.
CDU-Bürgermeister Oliver Wittke wurde vor zwei Jahren abgewählt. Und der neue Oberbürgermeister Frank Baranowski (SPD) kündigte den selbstmörderischen Vertrag. Man erwartete einen Problemlöser. Aber von Juristen beraten, die nur den kleinen Geländegewinn sahen, aber nicht das Überleben des Patienten, entschied auch er sich für den Abrisswahn: Hinrichtung der Architektur-Ikone. Dies trägt ihm und seinen Leuten den Vorwurf ein, dass ausgerechnet Sozialdemokraten ein so wichtiges Denkmal der Demokratiegeschichte zerstören wollen.
Einzigartig, wie das Baudenkmal sein Ende finden sollte: im Stadtparlament binnen zehn Minuten, unter Ausschluss der Öffentlichkeit und ohne Diskussion. Dazu gehörten auch Grüne, die sich noch vor einiger Zeit gegen den Abriss eines alten Postgebäudes mit Erfolg angekettet hatten. Und Sozialdemokraten, die ihre Geschichte nicht kennen. FDP und CDU, die das Abzocken einer Stadt als Ordnung darstellen. Und der abgewählte Oliver Wittke wurde Landesminister, ausgerechnet für Wohnen und Verkehr sowie nun in der Funktion des obersten Denkmalschützers. Von ihm fordern Bürgerinitiativen nun Wiedergutmachung. Denn gegen die drohende Zerstörung bildete sich eine breite Abwehrfront: von Katholiken bis zur MLPD. Was an die großen Abwehrkämpfe in den 70er Jahren im Ruhrgebiet erinnert, wo 50 Bürgerinitiativen einträchtig tausend Siedlungen verteidigten – und dies mit riesigem Erfolg. Denn diese Bürgerbewegung, die sich nicht nur sozial, sondern auch kulturell verstand, legte die Grundlagen für das NRW-Städtebauministerium, dem erfolgreichsten und kreativsten in der Republik. Und für die IBA Emscher Park.
Vom monatelangen totalen Schweigen ging die Stadt am vergangenen Dienstag zum Frontalunterricht über. Ankündigung: eine Fachkonferenz in der Halle der Zeche Oberschuir. Kritiker werden nicht ein- oder wieder ausgeladen. Alles eine Woche vorher. Nur zugelassen: „Jubelperser“. Ein Aufgebot an Security, das ein Teilnehmer als Fort Knox empfand. Geheimnisvoll: der Ort der Pressekonferenz. Zweieinhalb Stunden Vorträge, zu einem riesigen Projekt. Am Ende kurze Zeit für Fragen.
Die Leute, die das Projekt vor die Wand gefahren hatten, leiern die üblichen Zahlenkolonnen herunter und versichern, dies sei die einzig mögliche Wahrheit. Baudezernent von der Mühlen echot: alles sei gelaufen, ja schlimm, es täte ihm leid, die Kosten, aber man könne nichts ändern. Die Vize-Landeskonservatorin Ursula Quednau bleibt bar des Nachdenkens über jahrelange Blindheit der Denkmalpflege und illegale Teilzerstörungen. Dann wirft sie die verheerende These in den Saal, das Gebäude sei gar kein Denkmal mehr, denn es sei ja zerstört, daher könne es abgerissen werden.
Man kann sich nur wundern über die flinken Behauptungen von Amtsträgern und genehmen Experten. Ihre Empirie und Argumentationslust und wohl auch Fähigkeit tendieren gegen Null. Aus dem Prozess könnte man lernen, welche wichtige Rolle in diesem blinden Absolutismus des Behauptens ein Aufbruch zur Demokratie bedeutet – just das, was die Demonstranten draußen fröhlich über sich selbst sagten: „Wir machen Volksbildung. Das wünschten wir auch drinnen der Geheimgesellschaft.“
Aber zwischen all dem Beton gab es vorgestern doch vier aufrechte Personen. Zwei kluge örtliche Kritiker waren zugelassen; unumgänglich wegen ihrer Funktion im Ratsausschuss die kenntnisreiche Architektin Birgit Jacobs. Für eine der mehreren Bürgerinitiativen konnte man Denkmalschützer Lutz Heidemann nicht umgehen. Die Überraschungen waren Gunvar Blanck vom Bund deutscher Architekten Ruhrund überraschender der Chef der großen Wohnungsgesellschaft THS, mit Sitz auf der ehemaligen Zeche Nordstern in Gelsenkirchen, der Architekt Karl-Heinz Petzinka, gleichzeitig einer der großen Investoren. Es gelang ihnen, auf den entscheidenden Punkt zu kommen: Dass der Mangel an Kommunikation aufhören müsse, dass frei gedacht werden soll, denn nur so seien Probleme lösbar. Petzinka gab die Orientierung , Blanck machte das Angebot einen Moderationsprozess in Gang zu bringen. Petzinka plädierte für eine mehrstufige Werkstatt nicht nur mit Architekten, sondern mit einem Spektrum an Menschen. Blanck schlug vor, aus diesem Brainstorming an Interessen und Ideen mehrere unterschiedliche Modelle zu entwickeln.
Am Ende der Geheimveranstaltung, an deren Überraschungen sich jetzt Hoffnungen knüpfen, formuliert ein Security-Mann den Nerv des Volkes: „Das war ein richtig schöner Protest. Ich find ja, auch, dass das Hans Sachs-Haus erhalten bleiben muss.“ Und eine der „Protestantinnen“ sagt: „Es ist gemein, dass mir verwehrt wurde, im Hans-Sachs-Haus zu heiraten.“
Blancks Vorschlag: Das Projekt könnte als Beitrag zur europäischen Kulturhauptstadt beispielhaft zeigen, wie man aus einer Katastrophe durch intelligente Lösungen herauskommt.