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Archiv-Artikel

Baby-Mörder zur See

Es werden immer mehr Speisefische gefangen, ehe sie sich fortpflanzen durften. Das bedroht die Bestände. Per Fisch-O-Meter lässt sich nun feststellen, ob die Tiere für den Kauf in Frage kommen

von GERNOT KNÖDLER

„Es gab einmal Leben am Meeresboden.“ Diese schlichte Feststellung illustriert Rainer Froese vom Kieler Institut für Meereswissenschaften mit zwei Fotos: eines mit bleichen, bizarren Gewächsen, die früher einmal weite Teile des Nordseebodens besiedelten; und eines ohne Leben, aber dafür mit Schraffuren kreuz und quer. Das sind die Spuren der Grundschleppnetze die über den Meeresboden geschleift werden und mitnehmen, was dort gedeiht.

Wenn die Fischerei nach heutigem Muster fortgeführt wird, könnte das Meer selbst bald so leblos aussehen wie der Meeresboden, warnt Froese. Zusammen mit der Hamburger Verbraucherzentrale hat er gestern ein gut handhabbares „Fisch-O-Meter“ vorgestellt. Mit diesem Maßband aus abwaschbarem Polyethylen können Verbraucher im Laden feststellen, ob die Sprotten, Heringe oder Schollen, die dort feilgeboten werden, eine vertretbare Größe haben. Denn auf deutschen Tischen landen immer mehr Fische, die bestenfalls das Backfisch-Alter erreicht haben und keine Möglichkeit hatten, sich fortzupflanzen. 18 Prozent der Makrelen, 54 Prozent der Seelachse, 55 Prozent der Schollen und 82 Prozent der Kabeljaue werden noch im Baby-Alter gefangen.

„Wir empfehlen den Verbrauchern, nur Fische zu kaufen, die mindestens die entsprechende Länge auf dem Fisch-O-Meter erreichen“, sagt Armin Valet von der Verbraucherzentrale. „Denn dann konnten sich die Fische vor dem Fang vermehren.“ Mit einem bewussten Fischeinkauf lasse sich Druck auf Handel und Politik ausüben, die Überfischung zu beenden.

Nach Ansicht Froeses wäre viel gewonnen, wenn die EU die Mindestgrößen, die Fische haben müssen, um gefangen werden zu dürfen, schrittweise erhöhen würde. Froese koordiniert das EU-Projekt „Incofish“, das Konzepte sucht, wie bis 2015 gesunde Fischbestände und Meeresökosysteme wiederhergestellt werden können. Seiner Ansicht nach schadet sich die Fischereiwirtschaft selbst, wenn sie zu kleine Fische fängt. Ohne Eingreifen des Menschen würde die Mehrheit der kleinen Fische groß werden und insgesamt weit mehr Gewicht auf die Waage bringen als die heutige Masse an Jungfischen. „Man könnte zwischen 30 und 50 Prozent mehr Protein rausholen“, sagt Froese, „wenn man sie bei der richtigen Größe fangen würde.“

Doch die Fischer tun das Gegenteil. Froese zufolge habe sie ihre Jagd in den vergangenen Jahrzehnten auf immer mehr Arten ausgedehnt und sind dabei die Nahrungspyramide hinabgeklettert. „Das braune Wasser der Nordsee, das wir kennen, sah mal klar aus“, sagt Froese. Weil immer mehr Planktonfresser gefangen und viele Muschelbänke rasiert wurden, fehlten den Kleinstlebewesen jetzt die Feinde. Die Quallen als Planktonfresser profitieren davon.

Umweltschützer und Fischereiexperten weisen schon seit Jahren darauf hin, dass die Bestände vieler Fischarten bedroht sind. Auf Druck großer Fischerei-Nationen wie Spanien, Frankreich und Polen genehmigt die EU aber regelmäßig Fangquoten, die über den Empfehlungen des Internationalen Rates für Meeresforschung (ICES) liegen.

Bekanntestes Beispiel für Nord und Ostsee ist der Kabeljau, der in der Ostsee Dorsch heißt (siehe Interview). Doch auch die Zahl der laichfähigen Schollen und Seezungen ist seit Anfang der 90er Jahre so weit reduziert worden, dass sie gerade ausreicht, um die Bestände dieser Fischarten nicht zusammenbrechen zu lassen. Erholt haben sich dagegen die Bestände an Heringen und Makrelen – nach Einschätzung von Greenpeace die einzigen Seefische, die überhaupt guten Gewissens verzehrt werden können (siehe Kasten).