: Es geht gar nicht um Sex oder Ähnliches
Zwischen leicht depressiven Tierärzten, Frauenmördern, Paranoikern und den Helden der französischen Geistesgeschichte: Die 6. Französische Filmwoche wartet mit einigen Regiedebüts und viel traurig lächelnder Wehmut auf – aber Lust auf eine Frankreich-Reise macht sie trotzdem
VON DETLEF KUHLBRODT
Heute beginnt im Cinéma Paris und im Filmtheater am Friedrichshain die französische Filmwoche, auf der es zwölf neuere Produktionen zu sehen gibt, die fast zur Hälfte Erstlingswerke sind. Sie anzuschauen ist so ähnlich, wie selbst nach Frankreich zu fahren. Man taucht ein in verschiedene Gegenden und Zusammenhänge, in denen ein unterschiedlich gefärbtes Französisch gesprochen wird, möchte gleich dorthin fahren, grinst manchmal, weil hier immer noch viel und gerne geraucht wird oder weil manchmal elegant aneinander gereihte Worte leichtfüßig von den Lippen perlen. Außerdem freut man sich über viele Bildungszitate. In dem schwarz-romantischen „Entre ses mains“ von Anne Fontaine etwa erinnert der Held, der Tierarzt Laurent, der in Lille seine Praxis hat, an den Helden aus Kierkegaards „Tagebuch eines Verführers“. Ihm geht es nicht um Sex oder Ähnliches, sondern darum, redend mit unterschiedlichen Frauen Intimität herzustellen.
Claire (Isabelle Carré), die Frau, die ihn interessiert, arbeitet für eine Versicherung. Er lernt sie bei einer Schadensmeldung kennen. Sie ist verheiratet, hat ein Kind, macht jeden Morgen Gymnastik mit ihrer leicht promiskuitiven Freundin und fühlt sich aber trotzdem nicht wirklich heimisch in ihrem proper eingerichteten Leben. Etwas fehlt, und sie weiß nicht, was. Sie fühlt sich angezogen von dem höflich zurückhaltenden, leicht depressiven Tierarzt, seiner Konversation, seinem Werben, den ambivalenten Zeichen, die er aussendet. Behutsam baut der Film ein Bedrohungsszenario auf. Denn am Rande treibt ein Frauenmörder sein düsteres Geschäft. Er scheint näher zu kommen. Oft ist es nur ein Halbsatz, der die Abgründe erahnen lässt, von denen Claire neben dem Tierarzt auch noch angezogen ist.
Während „Entre ses mains“ in einem düster masochistischen Theater endet, changiert Patrick Bouchiteys „Imposture“ zwischen Thriller und Komödie. Zunächst scheint der Film nur eine weitere Variation eines der Lieblingsthemen des französischen Films zu sein: der Liebesgeschichte zwischen einem geistig ermüdeten, gleichzeitig satyrhaft wirkenden Intellektuellen um die sechzig und einer schönen jungen Frau. Dann wird’s aber doch ganz anders.
Serge Pommier (Patrick Bouchitey) also ist ein gelangweilter Literaturkritiker, der ab und zu Artikel über Helden französischer Geistesgeschichte wie Georges Bataille schreibt. Alle warten darauf, dass er ein tolles Buch schreibt. Er ist aber blockiert und unterrichtet stattdessen an der Uni. Für seine Studenten ist er ein Star. Eine seiner Studentinnen, die schöne Jeanne (Laetitia Chardonnet), vertraut ihm das Manuskript ihres düsteren Romans mit dem schönen Titel „Diary of a Madwoman“ an und bittet um einen Termin. Er ist begeistert von dem Manuskript, gleichzeitig schockiert und eifersüchtig, denn dies ist genau das Buch, das er immer hatte schreiben wollen. Er tippt das Manuskript ab, um es als eigenes herauszubringen, kriegt bei seinen Vorlesungen paranoide Schübe, verschiebt immer wieder die Treffen mit der Autorin, die er nun ja auch irgendwie aus dem Verkehr ziehen muss. Teils virtuos spielt „Imposture“ zwischen Thriller und Komödie – und es ist verzeihlich, dass der Film im letzten Viertel etwas abfällt.
Weniger konventionell in seiner Erzählstrategie kommt „Sauf le respect que je vous dois“ von Fabienne Godet daher: Der Film ist nicht linear erzählt und beginnt mit einer Szene, deren Bedeutung erst viel später klar wird. Dafür ist er stärker an Alltagserfahrungen orientiert – das eine scheint oft das andere zu bedingen. Es geht um François, einen zurückhaltenden Mann in der Lebensmitte. Alles scheint okay zu sein – Familie, Kind, eine mittlere Position in einem Unternehmen –, bis sich sein Freund und Kollege das Leben nimmt, weil ihm gekündigt wurde.
Etwas zerbricht in François. In der Kantine reden die Kollegen von Banalitäten, als sei nichts geschehen. François kann es nicht ertragen, wie sie so ohne weiteres wieder zur Tagesordnung übergehen, wie sie die Tat verdrängen, indem sie dem Toten unterstellen, doch eigentlich immer schon verrückt gewesen zu sein. Er wird gewalttätig und sucht nach Gründen. Eine Journalistin unterstützt ihn. Der großartig besetzte Film erzählt von den subtilen Gewaltverhältnissen in der gegenwärtigen Arbeitswelt, ist auf eine durch Zurückhaltung und Respekt gewonnene Weise eindringlich und endet mit einem traurigen Lächeln.
Fabienne Berthauds Film „Frankie“, der von einem deutschen Mannequin erzählt, das gerade in die Psychiatrie eingewiesen wurde, ist auch äußerst sehenswert und seltsam-schön wehmütig.
Bis 7. 6. im Cinéma Paris (www.cinema-paris.de) und im Filmtheater am Friedrichshain (www.yorck.de); Programm s. taz plan