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Archiv-Artikel

Linke SPD-Gruppierung lehnt Koalition ab

MITGLIEDERVOTUM Der linke Donnerstagskreis ist enttäuscht von Koalitionsvertrag und empfiehlt ein „Nein“. Großer Andrang bei Diskussionsforum des SPD-Landesverbands mit Bundesvizechefin Schwesig

Der links orientierte „Donnerstagskreis“ in der Berliner SPD ruft zu einem „Nein“ beim Mitgliedervotum über die Koalition mit der CDU auf. Eine Ablehnung sei „die bessere Alternative“, sagt der Kopf der Runde, Hans-Georg Lorenz, früher langjähriges Mitglied im Berliner Abgeordnetenhaus: „Das ist der einzige noch verbleibende Weg, wie für unsere Partei Vertrauen zurückerobert werden kann.“

Der Donnerstagskreis war lange eine führende Stimme der Parteilinken, hat aber in den vergangenen Jahren stark an Einfluss verloren. Lorenz, nun 70, gilt jedoch weiter als Institution bei den Sozialdemokraten.

Lorenz gesteht der Parteispitze zwar zu, sicher hart verhandelt zu haben. Im Ergebnis aber habe man kaum etwas erreicht. Selbst beim Mindestlohn gebe es keinen echten Durchbruch. Aus der angestrebten größeren Steuergerechtigkeit sei nichts geworden, und auch die Energiewende bleibe auf der Strecke.

„Dies alles lässt für die nächsten vier Jahre nicht nur Stillstand, sondern Verschlimmerungen in allen Lebensbereichen befürchten“, meint Lorenz. Die Ergebnisse seien „weit davon entfernt, dass sie die Gefährdung stabiler demokratischer Verhältnisse rechtfertigen würden.“ Diese Gefährdung sieht er in den rund 80 Prozent der Bundestagssitze, die die Koalition hätte.

SPD-Landeschef Jan Stöß hingegen hatte den Koalitionsvertrag gleich nach seiner Vorstellung vergangenen Mittwoch begrüßt. Mit dem Mindestlohn, der Abschaffung des Optionszwangs bei doppelter Staatsbürgerschaft, Verbesserungen bei der Rente und der Mietpreisbremse wurden aus seiner Sicht zentrale SPD-Forderungen aufgenommen. Eine taz-Recherche unter Abgeordneten und Funktionären ergab hingegen vorwiegend große Skepsis bis hin zu einem klaren „Nein“ zu einem schwarz-roten Bündnis, teils aus Enttäuschung über den Koalitionsvertrag, teils aus grundsätzlicher Ablehnung.

Bis zum Ende der Mitgliederbefragung am 12. Dezember können die Berliner SPDler noch bei zahlreichen Veranstaltungen über den Koalitionsvertrag diskutieren. Bei einem landesweiten Mitgliederforum am Mittwochabend warb die Vizebundesvorsitzende und als Familienministerin gehandelte Manuela Schwesig im Willy-Brandt-Haus für die Große Koalition.

Dort waren schon eine Viertelstunde vor Beginn alle Sitzplätze belegt, trotz Kälte und Nieselregens strömten immer weitere Sozialdemokraten in die Parteizentrale. Fast 700 Mitglieder hatten sich zuvor zu dem Forum angemeldet. Der Protest am Eingang beschränkte sich hier auf rund ein halbes Dutzend Migranten, die auf Plakaten den Doppelpass-Kompromiss kritisierten und der SPD Verrat vorwarfen. STEFAN ALBERTI