„Alle Parteien nur populistisch“

Bei den Wahlen in Peru könnte ein Kandidat der Linken. Doch anders als in Bolivien oder Ecuador hat die Linke keine Basis und kein Programm. Mehr als eine Steuerreform erwartet der Historiker und Publizist Eduardo Toche nicht

taz: Herr Toche, mit dem Sozialdemokraten Alan García und dem Nationalisten Ollanta Humala machen am kommenden Sonntag zwei „linke“ Kandidaten die Stichwahl unter sich aus. Hat der viel beschworene Linksruck in Lateinamerika jetzt auch Peru erfasst?

Eduardo Toche: Peru ist anders. Vor 20 Jahren hatten wir eine der bestorganisiertesten Linken auf dem Kontinent, aber heute gibt es sie nicht mehr. Die Linke hatte ihre Basis in der Gewerkschaften, als Peru in einen Prozess der Deindustrialisierung ging, die Voraussetzung für die radikale neoliberale Politik der letzten 16 Jahre. Zudem hat politische Gewalt zu über 70.000 Toten und einer Wirtschaftskrise mit großen Auswirkungen auf die modernen Sektoren geführt. Nun hat die Linke enorme Probleme, andere Akteure für ihr Projekt zu finden.

Welches Gewicht haben die linken Themen wie Menschenrechte, partizipative Demokratie oder Umweltschutz?

Sie werden von den Parteien ignoriert, denn für sie gab es in Peru keine soziale Mobilisierung. Sie wurden immer bürokratisch verhandelt, als Teil der Vorgaben der internationalen Geldgeber. Unter Alejandro Toledo sind sie sogar in die Regierungsagenda aufgenommen worden.

Warum gelingt es in Peru nicht, die Basis zu mobilisieren?

Wo mehr als die Hälfte der Menschen unter der Armutsgrenze leben, kann man kaum von Zivilgesellschaft sprechen. Die Armen lassen sich sehr schwer organisieren. Die Gewerkschaften sind geschwächt. Es gibt auch keine Bauernbewegung mehr, der Krieg hat sämtliche Strukturen zerschlagen.

In Bolivien und Ecuador können sich die Armen durchaus organisieren.

In Bolivien haben sich die Kokabauern und die indigene Bewegung über nationale Themen verständigt. Evo Morales ist das Ergebnis eines jahrzehntelangen Prozesses, kein Außenseiter wie Ollanta Humala. In Ecuador hat sich die indigene Bewegung über 40 Jahre hinweg als starker und legitimer Gesprächspartner der Regierung herausgebildet. Hier in Peru gibt es keine indigene Bewegung, kein indigenes Bürgertum, unser Bildungssystem hat viel zerstört.

Was folgt daraus für das politische System?

Die Parteien sind nicht gezwungen, repräsentativ zu sein. Es ist viel lohnender, mit denen um die Macht zu verhandeln, die sie wirklich haben: mit den Unternehmern, dem Militär, der Kirche, den Kreditgebern. Die peruanische Demokratie ist also sehr einschränkt. Ollanta Humala hat versucht, das aufzubrechen, allerdings sehr ungeschickt.

Wie sind seine Chancen gegen Alan García?

Er ist ihm bei weitem unterlegen. Sein Verbalradikalismus hat es ihm sehr schwer gemacht, politische und wirtschaftliche Kräfte auf seine Seite zu ziehen. Er hat keine Organisation, er mobilisiert niemanden. Seine Wähler haben große Erwartungen, aber sie werden ihn politisch nicht stützen, wenn er die Erwartungen nicht einlösen kann. Humala hat zudem kein kohärentes Regierungsprogramm.

Welche Spielräume hat der künftige Präsident?

In der Politik geht es ja nicht nur darum, das Richtige zu wollen, man braucht die Macht, um es umzusetzen. Unsere Rechte schreckt nicht einmal davor zurück, mit Menschenrechten gegen Humala zu argumentieren. Die Botschaft dabei war: „Wenn du eine Kampagne gegen die Korruption machst, wirst du als erster fallen.“ Nach der ersten Runde haben sie versucht, Alan García zu umgarnen. Doch sie haben es schwerer mit ihm, weil er mit allen Wassern gewaschen ist.

Was ist von Garcías Partei „Revolutionäre Amerikanische Volksallianz (Apra)“ zu halten?

Der Apra weigerte sich lange, sich als sozialdemokratisch zu verstehen. Ihre Ideen lagen nahe bei der Sozialistischen Internationalen, aber sie begriffen sich als einzigartig, als lateinamerikanische Antwort für die Welt. In den Achtzigerjahren war sie programmatisch erschöpft. Das Desaster der ersten Amtszeit Alan Garcías (1985 bis 1990) hängt damit zusammen. In den Neunzigern, unter Fujimori, schrumpfte die Apra, mit der Rückkehr Garcías lebte der Apparat wieder auf.

Und für welche Inhalte stehen García und die Apra heute?

Für keine. Alle Parteien reagieren populistisch auf die Themen, die gerade in Mode sind.

Was ist an den Korruptionsvorwürfen gegen García dran?

Im Vergleich zu Fujimori war er nur ein Straßendieb. Unter Fujimori wurde die Korruption systematisiert. Diese Mafia ist jetzt in allen Parteien vertreten, stellt die große Mehrheit im Kongress.

Was würde García als Präsident tun?

Vielleicht würde er eine Steuerreform durchsetzen, die wirklich greift. Die Steuererleichterungen, die Fujimori den großen Bergbaukonzernen gewährte, laufen 2007 aus. Die Einkommensschere klafft viel weiter auseinander als in den Sechzigerjahren, weil die Einkünfte aus dem Bergbau sehr wenigen Leuten zugute kommen. Die Renditen in den letzten Jahren waren traumhaft. Das Freihandelsabkommen mit den USA würde García wohl vor seinem Amtsantritt ratifizieren lassen, denn er hat kein Interesse daran, sich wieder mit Washington anzulegen. INTERVIEW: GERHARD DILGER