PETER UNFRIED NEUE ÖKOS
: Solare Affenscheiße

Die Menschheit hat die Sonne dringend nötig, um ihren Energiebedarf abzusichern. Aber bitte nicht, wenn man im Auto hinten links sitzt

Kurz vor der Brücke aufs Festland kam aus der hinteren linken Ecke des Dreiliterautos ein Aufschrei. Mein Sohn Adorno. Mittlerer Erregungsgrad. Das passte jetzt ganz schlecht, weil im Radio lief gerade „A Horse With No Name“. Also ignorieren. Mist. Sehr lauter Schrei. Als ob der sich ignorieren ließe.

„Was ist denn los?“

„Bei mir ist schon wieder die Scheiß-Sonne.“

„Na, und? Sei froh.“ Auf der Insel hatte es tagelang geregnet.

Ihm doch egal. „Duuuu“, also ich, „hast mir versprochen, dass bei der Rückfahrt die Sonne auf Penelopes Seite ist.“ Hatte ich. Ich hatte ihm gesagt, dass die Sonne beim Hinweg links und beim Rückweg rechts reinscheine. Was man halt so verspricht, wenn man seine Ruhe haben will.

„Immer ist die Sonne bei mir“, maulte Adorno. Das sei ungerecht.

Penelope hatte interessiert ihren iPod abgenommen. Es war klar, dass sie die Chance einer Eskalation nicht mutwillig verpassen wollte. „Du solltest der Sonne sehr dankbar sein“, sagte sie im schönsten Ältere-Schwester-Sound. „Die Sonne schenkt uns Licht und Leben.“ Er zischte: „Die Sonne ist trotzdem scheiße und zwar so was von Affenscheiße.“

Sie zischte: „Adorno, glaub mir einfach, dass die Sonne nicht so was von Affenscheiße ist.“

Vorher war es tagelang nur um Lena Meyer-Landrut und die andere Lady Gaga gegangen und darum, ob sie ein iPad kriegten. Oder eigentlich nur: Wann. In äußerster Not hatte ich eine Preisausschreibenkarte ausgefüllt. Man konnte zwar nur einen Prius gewinnen. Aber ich sagte ihnen, wir würden ihn zu Bargeld machen und davon jedem 40 iPads kaufen. Das mit der Sonne war immerhin ein anderes Thema. Doch nun waren sie kurz vor den Handgreiflichkeiten. Zeit für eine antiautoritär-patriarchalische Moderation.

Ich räusperte mich. „Was Penelope sagen will, lieber Adorno: Es ist wichtig, dass wir – im übertragenen Sinne – die Sonne auf unserer Seite haben. Denn wir brauchen Sie beim energetischen Aufbruch ins 21.Jahrhundert.“ Ich ging davon aus, dass ihm mit neun Jahren die Bedeutung der Sonnenenergie für die Menschheit klar war. Wozu hatte ich vorm Schlafengehen aus Hermann Scheers „Solare Weltwirtschaft“ vorgelesen?

„Ich weiß, dass ich die Sonne im übertragenen Sinne auf meiner Seite brauche“, brummte Adorno. Bei „im übertragenem Sinne“ hob er die Stimme so verächtlich an, dass man die Anführungszeichen hörte. „Aber jetzt kann ich sie überhaupt nicht brauchen.“

„Ohne die Sonne wärst du tot, Adorno“, hauchte Penelope.

„An der nächsten Tankstelle wechseln wir die Plätze“, keuchte er.

„Pfff“, schnippte sie und stellte ihren iPod wieder an.

„Anhalten“, schrie er, „sofort!“

Die Sonne schien schon längst nicht mehr.

Der Autor ist taz-Chefreporter Foto: Anja Weber