: Ein Anwalt, der über Leichen geht
Der Prozess um einen Todesraser vor dem Hamburger Landgericht wirft bei Beteiligten und Beobachtern die Frage auf, wie weit ein Verteidiger gehen darf. Gibt es eine moralische Grenze für das Abwenden von Strafe?
Es ist nicht leicht zu verstehen, dass über die Schuld von Roland A. überhaupt noch verhandelt wird. Am 22. Oktober 2004 war er betrunken, raste im Auto mit 103 Stundenkilometern durch Hamburg. Als er über eine rote Ampel bretterte,krachte es, und zwei Menschen waren tot. Zunächst nahm Roland A. die Verantwortung auch auf sich. Als der 49-Jährige im November vor dem Amtsgericht Blankenese stand, sagte er: „Es wäre mir lieber gewesen, wenn ich allein ums Leben gekommen wäre, als dass unschuldige Menschen den Preis für meine Raserei zahlen.“ Dass er dafür ins Gefängnis sollte, ging ihm dann aber doch zu weit.
Die Verurteilung zu zwei Jahren und neun Monaten Haft hat der Elektromonteur angefochten. Deshalb sitzt Roland A. nun auf der hölzernen Bank des Hamburger Landgerichtes und hält den Kopf gesenkt. Eine Geste der Reue ist das nicht. Die Strafe, wettert sein neuer Verteidiger Uwe Altemeyer, sei „deutlich zu hoch: Wir reden hier über einen Verkehrsunfall, den niemand gewollt hat.“
Dieser Gedanke konsequent zu Ende gedacht würde bedeuten: Niemals käme ein Verkehrssünder hinter Gitter. Denn nirgends sonst ist die Grenze zwischen „Kavaliersdelikt“ und „Straftat“ so fließend wie im Straßenverkehr. Auch Roland A. durfte sich schon einiges erlauben, ohne auch nur um seinen Führerschein bangen zu müssen. Fünf Einträge in der Verkehrssünderdatei hatte er bereits, weil er immer wieder die zulässige Höchstgeschwindigkeit um bis zu 34 km/h überschritten hatte. Einmal musste er deswegen ein Fahrtraining absolvieren. Als es abgeschlossen war, setzte A. sich wieder in seinen Opel Vectra und heizte los.
Alles Kavaliersdelikte offenbar, bis er dann im Herbst 2004 den vollkommen Unbeteiligten Hans-Wolfgang M. und seinen eigenen Beifahrer Michael K. zu Tode fuhr. 1,4 Promille hatte er dabei im Blut. Roland A., auf Montage im Stadtteil Rissen, war mit Kollegen unterwegs zu Norddeutschlands angeblich größtem Volksfest, dem „Hamburger Dom“ auf dem Heiligengeistfeld.
Sein Verteidiger Uwe Altemeyer kämpfte darum, die Verantwortung für den Unfall jenseits seines Mandanten zu verorten. Er tat es mit einer Entschlossenheit, die den Hinterbliebenen auf der Bank der Nebenkläger immer wieder die Tränen in die Augen trieb. Die Söhne von Hans-Wolfgang M. mussten sich anhören, ihr Vater sei mitschuldig an seinem Tod – hatte er doch 0,52 Promille Alkohol im Blut, als Roland A. in ihn reinbretterte. Die aggressive Verteidigung gipfelte in dem Antrag, die Leiche des getöteten 64-Jährigen wieder aus dem Sarg zu holen – weil sich bei einer Obduktion ergeben könnte, dass er nicht durch den ersten Aufprall ums Leben kam, sondern erst, als sein Wagen dadurch auf ein weiteres Fahrzeug geschleudert wurde.
„Dieser Anwalt verlässt jede Moral und Ethik“, sagte dazu Patrick M., Sohn von Hans-Werner M., am Rande des Prozesses zur taz. „Die Verteidigung wird auf dem Rücken der hinterbliebenen Angehörigen geführt.“ Den Antrag auf Exhumierung hat das Gericht dann abgelehnt.
Selbst die Tatsache, dass Roland A. in der Vergangenheit immer wieder durch Raserei aufgefallen ist, versuchte Altemeyer zu Gunsten des Mandanten zu wenden. Er ließ eine frühere Kollegin des Monteurs vernehmen, die zu berichten wusste, dass A. persönlichen Stress „nur am Straßenverkehr auslassen kann“. Also weg mit dem Führerschein, sollte man denken – aber nein: Der Verteidiger beantragte ein Gutachten zu erstellen, dass sein Mandant eine labile Persönlichkeit und deshalb schuldunfähig sei.
Die Geschichte hat inzwischen ein drittes Todesopfer gefordert. Ein weiterer Beifahrer von Roland A., der den Unfall überlebte, hat sich das Leben genommen. Er hatte noch vor dem Landgericht ausgesagt – und sich unterstellen lassen müssen, er habe den Todesfahrer trotz dessen Alkoholisierung hinter das Steuer gedrängt. Sein Anwalt teilte dem Gericht mit, er habe sich umgebracht, weil er „dem Druck dieser Verhandlung nicht standhalten konnte“.ELKE SPANNER