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Archiv-Artikel

Von Bismarck und de Gaulle

KULTURVERGLEICH Deutsche und Franzosen: Satt werden sie beide – aber wie?

In dem Roman „Die Vermessung der Welt“ von Daniel Kehlmann trifft der Mathematiker Carl Friedrich Gauss auf den Philosophen Immanuel Kant. Als Gauss den bereits alten und geistig umnachteten Kant in dessen Königsberger Zuhause fragt, ob der Raum sich krümmt, antwortet Kant schlicht: „Wurst“.

So skurril diese Szene wirkt, so ist sie durchaus treffend. Prallen doch zwei prominente deutsche Eigenschaften hier aufeinander: der Hang zur Kopflastigkeit und die Vorliebe für Wurst. Doch was sagt das eigentlich über ein Land aus, das sich selbst stets lieber als Land der Dichter und Denker, denn als Wurstnation sieht? Gerne verstehen wir uns als disziplinierte Bürger und aufgeklärte Demokraten. Als Schöngeister gar. Doch das Sinnliche beschränkte sich stets auf den Bereich der Gedanken und Ideen. Die Esskultur blieb davon weitgehend verschont.

Wurst und Gesetze

Davon zeugt auch Helmut Schmidts Bekenntnis, Essen sei für ihn lediglich eine lästige Pflicht. Auch in Zeiten, da Fleisch eine teure Rarität war, musste Wurst her – irgendwie. So erfand Konrad Adenauer im Ersten Weltkrieg die „Kölner Wurst“, eine Sojawurst, deren Rezept er sich 1916 patentieren ließ. Was drin ist, muss also nicht unbedingt Fleisch sein. Schon Otto von Bismarck meinte: „Je weniger die Leute wissen, wie Würste und Gesetze gemacht werden, desto besser schlafen sie!“

Man isst, will aber nicht wissen, was drin ist. Auch wenn für die Deutschen Wurst ein Grundnahrungsmittel ist, hängt dem Wurstverzehr immer etwas Grobschlächtiges, Barbarisches und nicht selten etwas Ekliges an. Wurst soll nur den Hunger stillen, und das möglichst schnell. Im Ausland werden die Deutschen so auch mehr als Wurstfresser, denn als Poeten gesehen.

Die Wurst ist also Deutschlands kulturelles Vermächtnis an die Welt. Ihr Bekanntheitsgrad lässt Persönlichkeiten wie Goethe, Einstein oder Lena Meyer-Landrut wie Randnotizen in vergilbten Folianten erscheinen. Selbst wenn in einer fernen Zukunft deutsche Kultur in Vergessenheit gerät, bleibt immer noch die Wurst.

Während die muffige Wurstkultur der Deutschen am Imbissstand stattfindet, lebt man in Frankreich Genuss mit viel Zeit. Der Käsegang zwischen Hauptgang und Dessert zum Ende des Menus ist einer der Höhepunkte.

Die Stunden am Esstisch entziehen sich der Schnelllebigkeit einer Currywurstbude. Die französische Kultur bleibt lieber, wo der Käse klassisch am besten schmeckt: zu Hause, im Restaurant – eben dort, wo Menschen zusammenkommen.

3,5 Tonnen pro Minute

Käse ist ein kommunikatives Nahrungsmittel, denn mit Häppchen bei Tisch lässt es sich stundenlang über Gott und die Welt reden. Gleichzeitig wird kaum etwas Essbares auch so ausführlich erforscht, dass es reihenweise Käsegourmetzeitungen, Gesundheitsorganisationen und bürgerliche Käseliebhabervereinigungen hervorbringt. Das „Nationale, interdisziplinäre Zentrum der Milchwirtschaft Frankreichs“ erhob eine Studie, nach der pro Minute 3,5 Tonnen Käse produziert werden. Frankreich ist der größte Käseexporteur. Typischer Rohmilchkäse ist sogar so beliebt, dass es in den USA heimliche Treffen geben soll, bei denen die Milch auf Parkplätzen für fünf Dollar je Liter an illegale Käser verkauft wird. Denn in den Staaten ist Rohmilch aus Furcht vor Bakterien verboten. Aber ein echter Franzose hat keine Angst vor Keimen, sondern für jeden Tag eine andere Sorte Blauroten oder Hartweichen bereit.

Charles de Gaulle äußerte einmal, es sei „schwer, ein Land zu regieren, das 246 verschiedene Arten Käse zu bieten hat“. Aussagen über ihre Unzähmbarkeit lieben die revolutionsgeübten Franzosen, denn sie haben etwas, was den Deutschen fehlt: kulturelles Selbstbewusstsein. Sie haben es nicht nötig, den Glauben an sich selbst davon abhängig zu machen, wie beliebt ihre Sportler, Präsidenten oder Musiker gerade sind. Franzosen sind wie sie sind, weil sie sich nicht vorgeben lassen, wer oder was echtes Kulturgut ist. Sie werden lieber selbst Experten.

Im Gegensatz zur Wurst hat der Käse in Begleitung seiner französischen Haute-Cuisine-Freunde Eingang in jedes bessere Restaurant gefunden. Denn in Frankreich ist das Käsen noch ein Kunsthandwerk.HANNA MAIER, MÖCHTEGERN-ÖKO OLIVER JEGES, MEERESFRÜCHTLER