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Archiv-Artikel

Steilwandfahrer in Schwarz-Weiß

Vor fünf Jahren sorgte der Hamburger Filmemacher Jörg Wagner mit „Staplerfahrer Klaus“ für Aufsehen. Beim Kurzfilmfestival Hamburg gewann er nun mit „Motodrome“ den Dokupreis. Damit wären in Wagners Gesamtwerk drei große Männerthemen beisammen

2001 lief beim Hamburger Kurzfilmfestival ein Film, der Furore machte: „Staplerfahrer Klaus – der erste Arbeitstag“ ist keineswegs so harmlos, wie der Titel klingt. Es gibt Blutlachen, gevierteilte Körper und gespaltene Schädel. Das Gemetzel, das der gut gelaunte Klaus an seinem ersten Arbeitstag anrichtet, hat nicht nur die gefahrenvolle Arbeitswelt des Gabelstaplerfahrers einem großen Publikum erklärt, sondern auch auf das schattige Dasein des Kurzfilm-Genres im Jahre 2001 ein Schlaglicht geworfen. Es zeigte, wie man in neuneinhalb Minuten ein ebenso reichhaltiges Filmerlebnis haben kann wie in „9 1/2 Wochen“.

Die Arbeitssicherheitsfilm-Parodie bekam 13 nationale und internationale Preise, lief und läuft weltweit auf Festivals. In Webforen wird die Fortsetzung gefordert, ob mit „Klaus II“ oder „Baggerfahrer Dieter“, Hauptsache weiter mit dem ulkigen Blutbad. Schreckens-Klaus ist so bekannt, dass ein Amberger Staplerfahrer nach Filmsichtung seinen Job geschmissen haben soll.

„Staplerfahrer Klaus“ ist das Erstlingswerk von Jörg Wagner. Der vermeintliche Mann fürs Rohe kann sich noch erinnern, dass er bei Bambi weinte, als die Rehmutter starb. Doch die eigene Zartfühligkeit ist es nicht, die ihn an der Fortsetzung hinderte. Es reizte ihn nur wenig, zweimal das Gleiche zu machen. Lieber schuf er 2002 einen Beitrag zur Sehr-Kurz-Film-Rubrik „Flotter Dreier“: Drei Minuten „Pop Musik“ zum Thema Bier.

In diesem Jahr brachte Wagner Werk Nummer drei heraus, „Motodrome“. Thema: Motorsport auf Jahrmärkten. Damit wären drei große Männerthemen beisammen: Nervenkitzel, Bier, Technik. Mehr Zusammenhang zwischen den so unterschiedlichen Werken ist nicht auszumachen, denn „Motodrome“ ist keine Komödie, sondern eine Art künstlerische Dokumentation, die in stillen Schwarz-Weiß-Bildern das Genre des Motorrad-Steilwandfahrens beobachtet und damit einem Relikt aus wilden alten Rummelplatzzeiten ein Denkmal setzt. Schließlich sind nur noch drei Motodrome auf deutschen Jahrmärkten unterwegs.

In Absicht und Stil ist das ziemlich das Gegenteil von „Staplerfahrer Klaus“. Es gibt keine Worte, es sprechen die Motoren und schwarz-weißen Bilder. Sie lassen uns die Gesichter des von den tollkühnen Fahrern hypnotisierten Publikums studieren, die der Kreisbewegung auf der Rundbahn folgen. Die staunenden Köpfe der Zuschauer schlenkern gemeinsam in Unendlichkeitsschleifen, das Immer-wieder-Rundherum hat was von einer Choreografie. Durch rhythmisierende Schnitte (Cutter: Andrew Bird) erhält alles eine ungebremste Bewegung. Das Fehlen von Farbe verhilft zum Einstieg in die Welt von gestern.

Mit seiner poetischen Beobachtung gewann Wagner nun beim 22. Internationalen Kurzfilm Festival Hamburg den Dokumentar-Preis. Die Filmbewertungsstelle hatte bereits das Urteil „besonders wertvoll“ erteilt und „Motodrome“ zum Kurzfilm des Monats Februar erkoren, das Schleswig-Holsteiner Filmfest „Augenweide“ kürte ihn zum besten Beitrag. Es scheint, als wären Wagners Werke von einer Treffsicherheit, mit der das schwer vermittelbare Format endlich in der Gunst eines Normal-Publikums landen könnte.

Wagner, ein in Stuttgart geborener Hamburger, leitete sechs Jahre den Verleih der Kurzfilm-Agentur Hamburg und bekam so den bestmöglichen Überblick über Kurzes, bevor er sich selbst an sein Debüt machte. Seit 2002 lebt er vom Drehbuchschreiben, erste Erfahrungen machte er mit 16. Später experimentierte er mit Super-8, lernte audiovisuelles Medien-Design, sammelte als Filmvorführer und Lagerarbeiter die Erfahrungen, die er in Klaus unterbrachte, und testete sein Talent als Entertainer in einer eigenen Live-Comedy-Show.

Bis 2002 war Wagner selbst Mitarbeiter des Hamburger Festivals, dass ihn nun kürte. Sein multiples Engagement und der Erfolg könnten dem Spezialisten-Gebiet einen spürbaren Schubs verpassen. Dass das Hamburger Kurzfilmfestival irgendwann in „Wagner-Festspiele“ umgetauft werden könnte, steht indes nicht zu befürchten.

Imke Staats