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Vokaler Wiederaufbau

KIRCHENMUSIK Mit Honeggers „Le Roi David“ tut Tobias Gravenhorst dem Domchor keinen Gefallen

Ein warmer Juniabend ist keine günstige Rahmenbedingung für regen Konzertbesuch. Die Überschaubarkeit der Zuhörerschar am Sonntag im Dom scheint aber auch grundsätzlicheren klimatischen Umständen geschuldet zu sein: Noch immer wirkt der missglückte Stabwechsel in der Dommusik wie ein Knüppel zwischen den Beinen des neuen Kantors. Nicht nur das Publikumsinteresse wurde durch Wolfgang Helbichs Abgang im Streit gemindert, auch der Domchor erlitt einen Aderlass.

Tobias Gravenhorst, seit bald zwei Jahren Chef der Dommusik, ist für die Vergangenheit nicht verantwortlich. Aber er tut sich und dem Chor keinen Gefallen, wenn er dessen geschrumpfte akustische Möglichkeiten mit einem Werk wie „Le Roi David“ ohrenfällig macht. Artur Honeggers „Symphonischer Psalm“ steckt voller gewaltig sich auftürmender Chorpartien, die die dramatischen Wechsel im Schicksal des biblischen Königs klangmächtig ausmalen – wenn dafür die Kapazitäten vorhanden sind.

Es gibt ruhige Partien wie Davids Klage nach Absalons Tod, in denen der Chor seine immer noch vorhandenen Qualitäten beweist: Im Zusammenklang mit den Sopran-Vokalisen zeigen sich die Frauen als sehr sauber intonierende Sängerinnen, die im gemeinsam erzeugten Melos das Ihre zur musikalischen Balance beitragen. Eben die ist ansonsten das Problem: Gegen die vornehmlich mit Bläsern besetzte „Kammer Sinfonie“ und den elektronisch verstärkten Sprecher, Gravenhorsts Bruder, wirkt der Chor matt. David Gravenhorst, Regisseur am Hamburger Ohnsorg, nutzt die Macht des Mikrophons zu einer mit vornehmlich martialischem Ton gestalteten Performance – was angesichts der Kriegslastigkeit des alttestamentarischen Geschehens auch nachvollziehbar ist.

Bei all’ den Misstönen und Nickeligkeiten zwischen verweigerter Helbich-Verlängerung und autoritärer Stellen-Neubesetzung wog ein struktureller Fehler am schwersten: Als Domkantor jemanden einzusetzen, der sich vornehmlich als Organist, nicht als Chorleiter profiliert hatte. Er wiegt noch immer.

Henning Bleyl

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