: Willkommen im Club
KOMISCHE OPER Nicolas Stemann hat erfolgreich vermieden, die Operette „La Périchole“ von Jacques Offenbach aufzuführen
VON NIKLAUS HABLÜTZEL
Nicolas Stemann hat viel Erfolg auf den deutschen Sprechbühnen, weil er dort immer auch ein bisschen Musik macht. Gerade eben hat er die Fans des Berliner Theatertreffens mit Elfriede Jelineks „Kontrakten des Kaufmanns“ entzückt, weil er dort sogar selber singt. Das mag erklären, warum die Intendanz der Komischen Oper auf die Idee kam, Stemann einmal ein richtiges Stück Musik in die Hand zu geben. So kann man sich irren – was die Intendanz betrifft, sei ihr das verziehen, sie hat so viele gute Ideen gehabt, dass sie sich das Recht des Irrens wohl verdient hat.
Immerhin hat diese Idee dazu geführt, dass man nun an der Komischen Oper viel über den Zustand des gegenwärtigen deutschen Regietheaters lernen kann. Kostenlos allerdings nicht, denn man muss dazu bereit sein, über zwei endlose Stunden lang einem mit viel Getöse illustrierten Vortrag des Regisseurs zu folgen, in dem er uns darüber informiert, was er neulich über unsere Gesellschaft nicht in Erfahrung gebracht hat, nein, denn Erfahrungen kann ein deutscher Regietheaterregisseur nicht machen, dafür hat er zwischen all den Partys und Interviewterminen keine Zeit. Er informiert uns daher darüber, was er in den einschlägigen Clubs gehört hat. Man redet dort viel über die Finanzkrise und den modernen Kapitalismus im Allgemeinen. Auf dem Weg zum Interview (oder zur Theaterprobe) kann man gut auch mal Slavoj Žižek lesen, um sich die passenden Stichworte zu merken.
In den Clubs, die deutsche Regietheaterregisseure besuchen, wird zurzeit die These favorisiert, dass wir zum Konsum gezwungen werden, was notwendigerweise ziemlich katastrophale Folgen für unser Seelenleben hat. Zweifellos gilt das vor allem für Hartz-IV-Empfänger in Deutschland, oder die Sans Papiers in Paris oder die Bauern in Peru, wo Jacques Offenbachs Operette „La Périchole“ spielt.
Wer war Jacques Offenbach? Ein Komponist von Unterhaltungsmusik im Frankreich von Louis Napoléon. „Sie sehen jetzt ‚La Périchole‘ von Jacques Offenbach“, sagt ein Conférencier vor dem roten Theatervorhang, aber das ist natürlich nicht wahr. Denn im deutschen Regietheater geht es niemals darum, ein Stück aufzuführen. Es geht darum zu zeigen, dass der Regisseur weiß, wie man sich unter Gleichgesinnten zu benehmen hat.
Wir sehen daher als Erstes einen Schauspieler mit einer roten Fahne. Er zitiert einen Text des Zentralkomitees der Nationalgarde an die Arbeiter von Paris im Jahr der Kommune 1871. Dazu spielt das Orchester das Vorspiel zu Wagners „Tristan und Isolde“. Dann rennt das Operettenpersonal auf die Bühne, dann ein Arbeiterchor. Er singt Offenbach, dann zitiert der Conférencier aus den Regieanweisungen. Später hören wir auch noch Kafka und Guy Debord, dazwischen auch mal Offenbach, den der Dirigent Markus Poschner so lausig spielen lässt, wie es nur irgendwie geht (und das Orchester der Komischen Oper kann wirklich unglaublich schlecht spielen, wenn es will). Dann wieder Wagner (gar nicht so schlecht gespielt), dann ein bisschen Live-Video und was noch so alles dazugehört, wenn man zum Berliner Theatertreffen eingeladen werden will.
Gegen all dieses Nichtaufführen eines Stücks wäre nichts zu sagen, wäre das, was stattdessen im Theater geschieht, nicht so unfassbar quälend langweilig. Es liegt nicht daran, dass auf der Bühne nichts los ist. Die Maschine läuft auf Hochtouren, aber es geschieht buchstäblich nichts, denn Stemann kann keinen einzigen seiner angesagten Gedanken selber denken. Er lässt sein Personal schwatzen. Er und die Seinen würden vermutlich das Wort „Selbstreferenzialität“ fallen lassen. Das trifft es ja auch ungefähr. Ins Deutsche übersetzt heißt das: Es geht um mich, und um sonst gar nichts.
Das ist die vermutlich mieseste Art, sowohl das Publikum als auch die Kunst zu verachten, und insofern symptomatisch für die Mentalität von Insidergeschäften. Bitter für die Komische Oper, dass ausgerechnet sie das Opfer dieses Bühnenschwindlers wurde. Nur die üblichen Claqueure haben danach gejubelt, den anderen, die das Theater mit versteinertem Gesicht verlassen haben, sei gesagt: Als aktuelles Unterhaltungsmedium ist die Operette mausetot, aber gerade die Komische Oper hat wiederholt bewiesen, wie sehr es sich lohnt, sie als historisches Artefakt ernst zu nehmen, um zu zeigen, dass es mehr gibt (und gab), als das Partygeschwätz von nebenan. Der Intendant Homoki selbst und Peter Konwitschny haben mit Operetten von Kálmán, Strauß und Lehár für Höhepunkte gesorgt, Höhepunkte auch der Selbstaufklärung unserer Gegenwart.
Zum unverdienten Unglück des Hauses kommt noch hinzu, dass wenige hundert Meter entfernt die Staatsoper ihren Beitrag zur historischen Würdigung des Genres geleistet hat. Dort haben Sir Simon Rattle und der Sänger Dale Duesing eine Operette von Emmanuel Chabrier aufgeführt, die ganz offensichtlich auf dem Vorbild von Offenbachs ‚Périchole‘ beruht. Leider musste man nun auch bei Stemann ständig daran denken, wie geistreich und unwiderstehlich komisch gerade die völlig unmoderne Form Operette sein kann. Aber dazu muss man sie spielen können.