HIPHOP IN DER HEIDESTRASSE
: Adieu, Wonderland

Schade, dass Tanas zumacht. Aber was sollen sie hier noch?

Wollmützen über Milchbartgesichtern, Baggy Jeans und schwere Stiefel. Als ich abends um neun bei Tanas ankomme, stutze ich. Die drei Jungs auf der Heizung habe ich doch schon mal gesehen. Klar. Natürlich. Das sind die HipHopper aus „Wonderland“. Halil Altinderes Video war der Knüller der Istanbul-Biennale im September. Die drei Halbwüchsigen prangern darin die Tot-„Sanierung“ des Romaviertels Sulukule an. Jetzt sitzen sie im türkischen Kunstraum in Berlin, qualmen und schäkern. Ich hatte ganz vergessen, dass sie ja eine Band sind. Und heute das Abschiedskonzert bestreiten: Tahribad-I Isyan. Azra stellt mir die drei vor: Faust aufs Herz!

Kathrin findet sie süß. Und checkt, wer der „Mädchen“-, wer der Jungstyp ist. Sie kann das. Sie ist schließlich Kuratorin. Das Trio hat jetzt die kleine Bühne geentert. Und gibt alles. Zum ersten Mal in Berlin! Die Besucher hüpfen euphorisch. Selbst der stoische René Block kommt in Bewegung. Für die „Kids“, wie Azra ständig sagt, sind die drei ganz schön politisch: „Ihr nennt es urbane Rekonstruktion. Ich nenne es den Niedergang der Stadt.“ Die Jungs singen den „Wonderland“-Song im leer geräumten White Cube. Was auf Istanbul gemünzt ist, passt hier wie die Faust aufs Auge. In der „Europacity“ hinter dem Hauptbahnhof wächst ein Wolkenkratzerviertel in die Luft, das es mit Erdogans schönem neuen Istanbul aufnehmen kann. Das Gewimmel windschiefer Werkstätten, Ruinen und Brachen verdichtet sich langsam, aber sicher horizontal.

„Schon schade, dass Tanas zumacht. Aber was sollen sie hier auch noch?“, seufzt Kathrin. Beim Nachhauseweg durch die eisverschlammten Baustellen ertappe ich mich bei der Fantasie, das grauenhafte Total-Hochhaus gegenüber dem Bahnhof so in Flammen aufgehen zu sehen wie das Plakat der türkischen Stadtentwicklungsbehörde TOKI in Halils Video. Adieu, Wonderland Heidestraße. INGO AREND