: Ästhetischer Voyeurismus
Nur eine Musealisierung des Schreckens? Im Düsseldorfer NRW-Forum werden Tatort-Bilder aus den Archiven von Polizei und Reportagefotografen in behördenflurgrauer Nüchternheit präsentiert
VON KATJA BEHRENS
Weegee („the famous“) ist einer der Stars der amerikanischen Reportagefotografie und Vorbild für das wunderbare Klischee des waghalsigen Reporters: Als Dokumentarist streift er durch Straßenkreuzungen und Hinterhöfe eines dunklen New York, um das bedrohliche und bedrohte Leben der Menschen in den Armenquartieren festzuhalten. In den späten 1930er Jahren – der grauen Zeit der Depression – jagte er mit Kamera und Blitzlicht durch die Nacht, hörte den Polizeifunk ab und war oft vor den Beamten am Ort der Katastrophe.
Was in der Ausstellung „(Tat)Orte. Weegee-Odermatt-Metinides-LA Police Archive“ im Düsseldorfer NRW-Forum zu sehen ist, sind Bilder einer grausamen Wirklichkeit: Fotos von Unfällen, Zerstörung und Verbrechen, hautnah am Ort des Geschehens aufgenommen. Gerade diese Bilder machen die heikle Gradwanderung zwischen dienlicher Information und Sensationsgeilheit offenbar, der sich die Presse immer schon stellen musste. Enrique Metinides, über sechzig Jahre lang Fotograf der mexikanischen Tageszeitung „La Prensa“, kannte offenbar wenig Skrupel, wenn es darum ging, die spektakulär grausame Realität im Bild zu bannen: Der auf einem Strommast von einem Stromschlag getroffenen Mann, die von einem Auto an einem Mast zerquetschte Schriftstellerin haben Namen und Todesdaten, haben ein Leben und einen Beruf gehabt, und sind so als Objekte journalistischen Eifers um so mehr der voyeuristischen Neugier preisgegeben. Ganz anders die Fotos des Schweizer Polizeifotografen Arnold Odermatt, der sich auf Autounfälle spezialisiert hat. Die Menschen und ihre Schicksale bleiben anonym, sind allein anhand der Fahrzeug-Überreste vorzustellen. Zu dieses Bildern kann der Betrachter die größte Distanz wahren.
Die grandiosen, zwischen 1929 und 1968 entstandenen Fotografien aus dem Archiv des Los Angeles Police Department (LAPD) die erst kürzlich gefunden und vor der Vernichtung gerettet wurden, zeigen, wie sehr Film- und Fotokunst-Ästhetik jener Jahre in die Dokumentarfotografie Eingang gefunden haben. Die formalen Qualitäten der Fotos, die der Beweisaufnahme, der Tatortbeschreibung, der Rekonstruktion von Verbrechen dienen, erinnert an Fotos von Walker Evans oder Lewis Hine. Künstlichkeit und künstlerische Bildsprache bewahren diese Doku-Fotografien davor als lüsterne Zurschaustellung wahrgenommen zu werden.
In ihrer ursprünglichen Funktion als bloße Dokumentation, aufgenommen von anonymen Polizeifotografen oder namhaften Bildreportern, sind die Fotografien doch oft erschreckend schön. Im Museum, dessen ursprüngliche Funktion die Abgrenzung gegenüber dem Ephemeren und Virtuellen, der Schnelllebigkeit und dem „limited attention span“ der Tagespresse ist, dessen Aufgabe es seit jeher war, Kultur zu vermitteln und Identität zu stiften, werden die Katastrophenbilder zu Zeugen auch der grausamen Seiten unserer Zivilisation. Wir haben Zeit, uns auf sie einzulassen, sie länger zu betrachten – und darüber zu reflektieren, was es bedeutet, sie zu betrachten.
Im Vertrauen auf die Authentizität der scheinbar dokumentarischen Tatort- Fotos wird immer noch zu wenig bedacht, dass sie häufig auch arrangierte Werke einer genau kalkulierten und kalkulierenden Ästhetik sind, die mit dem voyeuristischen Schrecken spielt und sich der plakativen Eindringlichkeit des Desasters bedient. Dass die konstruierten Fotografien sich im Laufe der Zeit wieder in historische Zeugnisse zurück verwandeln („auch wenn sie dabei – wie die meisten historischen Zeugnisse – an Reinheit verlieren“) ist eine Paradoxie, die die Kulturkritikerin Susan Sontag im Blick auf die Bilder der Kriegsreportagen bitter konstatiert. Das vielbeschworene kollektive Gedächtnis sei eine Fiktion, sei lediglich „ein sich einigen“ auf die Bilder, „mit deren Hilfe die Geschichte in unseren Köpfen befestigt wird“.
Bis 6. August 2006Infos: 0211-8926690