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Archiv-Artikel

Ein bedrohlich schweigsamer Zoom

PUSSY RIOT In der Volksbühne ist heute Abend der preisgekrönte Dokumentarfilm „Pussy versus Putin“ zu sehen. Manche Unterstützerinnen der feministischen russischen Performance-Gruppe halten ihn für problematisch

VON BARBARA WURM

Ende November feierte „Pussy versus Putin“, ein unabhängig produzierter und aus der russisch-oppositionellen Insiderperspektive gedrehter Dokumentarfilm über das berühmte Künstlerinnenkollektiv Pussy Riot beim renommierten Amsterdamer Dokumentarfilmfestival IDFA Premiere und gewann den Preis für den besten mittellangen Film. Die Jury hielt den Film für brillant und wichtig, das verwendete Footage großartig und wertvoll und das Auftreten der FilmemacherInnen für äußerst couragiert. Der Preis drücke die Hoffnung aus, dass man zur gesteigerten Aufmerksamkeit für die noch inhaftierten Mitglieder und zu ihrer frühzeitigen Entlassung beitragen könne. Dok-Superlativen, Menschenrechtsoptimismus und konkreter Aktivismus allenthalben, Erfolg auf der ganzen Länge. Möchte man meinen.

Aber so einfach läuft das nicht mit der Unterstützung des zivilen und künstlerischen Widerstands gegen Zar Putin – auch in Zeiten des vielleicht ja doch überraschenden Njet des Bundespräsidenten Gauck zu Sotschi. Schon mehrere Festivals in Deutschland wollten „Pussy versus Putin“, den nun schon zweiten Film innerhalb eines Jahres über die feministische Punk-Performance-Gruppe, zeigen. Doch es kam zu Protesten, und zwar vonseiten jener, die die Aktionen von Pussy Riot nicht nur ausdrücklich unterstützen, sondern auch mitgestalteten. So erhebt etwa die auf Bewährung entlassene Ekaterina Samujcevic den Vorwurf der Verletzung von Persönlichkeitsrechten. Der Film, dessen so gut gemeintes Video-Protest-Footage durch Speicherung und Nichtlöschung zum Beweismaterial für die Anklage zu werden droht, ist anscheinend nicht von allen Mitgliedern von Pussy Riot autorisiert.

Als Ereignis ist das Unternehmen der Volksbühne also vor allem insofern zu bezeichnen, als der heutige Abend nicht bei der solidarischen Konzertgeste stehen bleibt (neben der PunkBand Hands Up-Excitement! von Initiator Hans Narva spielen The Real Baba Dunyah und Maiden Monsters). Die Widersprüche rund um die Filmvorführung und damit diejenigen des organisierten politischen Protests werden thematisiert – auf der Homepage wie in der Diskussion, die zwischen Film und Konzert vorgesehen ist.

Die endgültige Version von „Pussy versus Putin“ haben wohl noch nicht viele gesehen. Im ExBerliner erzählen Vasilij Bogatov und Tais’ja Krugovych, warum sie ihre Namen lieber nicht in die Credits schreiben („Gogol’s Wives Productions“ heißt es da originellerweise) und warum sie den Film mehrmals umschneiden mussten. Man war jedenfalls seit der Gründung der Performance-Band 2011 mit der Handkamera dabei und begleitete Proben, Aufnahme-Sessions und auch die öffentlichen Aktionen.

Aus den veröffentlichten Clips und auch dem anderen, mittlerweile für den Oscar nominierten HBO-BBC-finanzierten Dokumentarfilm „Pussy Riot: A Punk Prayer“ kennt man das schon: Wie die wild girls einen Omnibus zum Erliegen bringen, weil sie auf dessen Dach tanzen; wie sie sich in einer U-Bahn-Station eine improvisierte Konzertbühne bauen und von weit oben Antiregierungstexte schmettern; und auch, wie sie sich mutig auf den Roten Platz schleichen, um dort an einem symbolisch stark aufgeladenen Ort – der Schädelstätte, dem historischen Exekutionsplatz also – den Kremlherrn aus voller Kehle zu beschimpfen. Was man dagegen wohl zum ersten Mal sieht: eine frühe Verhaftung aus der Zeit vor der legendären Christ-Erlöser-Kathedralen-Aktion, und das aus der Perspektive der Zelle.

Die Richtplatz-Szene wiederum ist vom Inneren der benachbarten Basilius-Kathedrale heraus gefilmt, sie setzt ein wie ein Hochkulturbeitrag über Ikonen und endet als bedrohlich schweigsamer Zoom auf die brisante Aktion da draußen im Schnee, die nun in der Totalen erfahrbar wird (eine Art monumentaler Minimalismus, dem nur in der Virtualisierung zur Existenz verholfen werden wird).

Auffällig ist, wie sehr sich der Film für die mehr oder weniger zufälligen Beobachter und Zuschauer der Aktionen interessiert, in deren Gesichtern sich Verstörung spiegelt, die stets einen Moment lang anhält. Viele (auch „Geschädigte“ und „Betroffene“) sind spontan begeistert, andere bleiben unberührt. Nur die Uniformträger präsentieren sich, wo immer man sie sieht, und wenn sie nicht schlicht und ergreifend gelangweilt sind, in echt autoritärer Überlegenheit.

Es ist diese Selbstherrlichkeit des Putin-Systems, dieses Sichwiegen der Machtebene in der „inneren“ Sicherheit der Willkür, die den zivilen Ungehorsam, für den Pussy Riot steht, so nachvollziehbar macht. Auch Prozess und Verhandlung werden geschildert, vor allem aus der Perspektive derjenigen, die vor dem Gerichtsgebäude stehen. Ihre Empörung ist erschütternd. Die Ungläubigkeit ihrer Blicke noch viel mehr.

■ „Pussy versus Putin“ (R 2013), danach Diskussion und Konzert mit Hands up-Excitement!, Maiden Monsters, The Real Baba Dunyah. Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz, 21 Uhr