: Ausdruck ist heute Handstand
In der Volksbühne ließ der pflichtgemäß kritische Ex-AAO-Kommunarde Theo Altenberg freie Liebe und Führerprinzip Revue passieren – und suchte nach neuen Utopisten
Am Montagabend machte die Volksbühne einen fast ausgestorbenen Eindruck. Während auf der großen Bühne ein brasilianischer Regisseur eine Tanzaufführung aus den 70er-Jahren noch mal inszenierte, ging es im Foyer um Kommune-Ideale, auch aus den 70ern. Vielleicht hundert gemischte Leute waren zu der „Kommune Revisited“ überschriebenen Veranstaltung gekommen, die Theo Altenberg moderierte.
Der 54-jährige Fotograf, Filmemacher und Performer hatte 27 Jahre in der Kommune der Aktionsanalytischen Organisation des Wiener Aktionisten Otto Mühl gelebt. Die „AAO“ war Anfang der 70er entstanden, hatte das „Ende der Zweierbeziehung und der verbrecherischen Kleinfamilie“ verkündet und das Privateigentum zusammengelegt. Die AAOler trugen Latzhose und Glatze, machten freie Sexualität und Aktionsanalyse und gingen davon aus, dass sich die ganze Welt mal so organisieren würde. Die 600 Kommunarden erwirtschafteten in den 80ern beträchtlichen Gewinn mit Immobilien, Börsenmaklerei und Schulungskursen. Ende der 80er zerbrach die „AAO“, als bekannt wurde, dass Mühl und seine Frau Kommunekinder sexuell missbraucht hatten. Mühl saß dann sieben Jahre im Gefängnis. Auf der Einladung zur Veranstaltung hatte gestanden: „Funktionieren Utopien ohne Idole vielleicht doch?“ Man fragte sich, wer je behauptet hatte, dass Utopien mit Idolen funktionieren würden.
Zunächst zeigte Altenberg einen ORF-Film über die AAO von 1975. Vieles darin wirkte befremdlich. Man sah barbusige Frauen beim Bauarbeiten. Ihre Brüste wirkten eher symbolisch denn wirklich. Die vielleicht 20-jährigen KommunardInnen hatten die Weisheit mit Löffeln gefressen. Vor allem ging es um das Konzept der freien Liebe, das im Woodstock-Film sympathischer inszeniert worden war. Alle sagten, dass es befreiend sei, dreißig Sexpartner zur Auswahl zu haben, dass sie in der Kommune ihre „Schädigungen“ überwinden könnten und dass „der Otto“ das meiste Bewusstsein habe. Bei den allabendlichen so genannten „Selbstdarstellungen“ mussten sich Einzelne in die Mitte eines Kreises stellen und alles rauslassen. Sie ausdruckstanzten mit Rumschreien und Ausziehen. Fröhlich ist was anderes. Der Zwang zur Extroversion hatte etwas Rohes und Abstoßendes.
Pflichtgemäß sagte Theo Altenberg, dass Otto Mühl irgendwann durchgedreht sei und viele seiner Mitkommunarden zu „Zombies“ geworden seien, dass das tolle Experiment also vor allem am bösen Führer gescheitert und er ja Dissident gewesen sei. Dann wechselte man die Location und machte im Theatersaal weiter. Während die einen ihre Alternativgeschichtskenntnisse erweitern wollten, ging es Altenberg um die Gegenwart. Manchmal hatte man den Eindruck, er wolle über die Veranstaltung neue Leute für eine Kommune finden, in der die Liebe ohne Führer im Mittelpunkt stehen sollte.
Leute sagten irgendwas, zum Beispiel, dass wir ein „Pathos des Ideals“ bräuchten oder dass Liebe doch kleinbürgerlich sei. Jemand beschwerte sich zu Recht darüber, dass alles mit Kameras aufgezeichnet wurde. Der zurückhaltende Altenberg forderte zur Selbstdarstellung auf, und ein junger Mann ging auf die Bühne und sagte: „Du hast uns hier zusammengeführt. Also bist du unser Führer.“ Dann fast schreiend: „Und nun will ich den Beweis, dass du nicht unser Führer sein willst.“ Das wollte der Theo natürlich nicht.
Später wurde die Musik kuschliger und in der Musik schmeichelte eine Frauenstimme leise „Hab keine Angst“. Acht Leute aus dem Publikum gingen auf die Bühne und tanzten dort ganz kindlich mit Handstand und Radschlagen. Sicher wäre es besser, mit tollen Leuten in einer Kommune zu leben. Aber trotzdem denkt man bei solchen Veranstaltungen immer, alles sei falsch. DETLEF KUHLBRODT