Singen ist gut für die Lunge

INTENSIVMEDIZIN In ihrem Dokumentarfilm „Intensivstation“ beobachtet Eva Wolf einfühlsam Pfleger, Ärzte und Patienten in der Charité

Am Montag hatte Eva Wolfs „Intensivstation“ im Babylon Mitte Premiere. Der Dokumentarfilm berichtet vom Alltag in der Intensivstation der Charité. Vier Monate lang haben die Filmemacherin und ihr Kameramann Michael Weihrauch dort Pfleger und Ärzte bei der Arbeit begleitet. Es ist lustig, am Einlass zu sagen: „Ich stehe auf der Gästeliste der Intensivstation.“

Intensivmedizin ist ein weites Feld. „Apparatemedizin“ fällt einem ein, die Kritik an einem Gesundheitssystem, das mehr auf tolle Maschinen als auf menschliche Zuwendung setzt, die alten Menschen, die nach Krankenhausaufenthalten einsam in Pflegeheimen dahinvegetieren, die alten Männer, die sich aus Angst vor dem Pflegeheim das Leben nehmen.

Eva Wolf hat sich auf den Alltag in der Station konzentriert; die Arbeitsabläufe, Gespräche mit Ärzten und Pflegern, Patientenbeobachtungen. Es geht ihr um das Existenzielle, den Tod, der alltäglich ist auf einer Station, in der 60 bis 70 Prozent der Patienten nicht gerettet werden können, wie ein Arzt berichtet. Es geht um die Schwelle zwischen Tod und Leben, die ängstliche Unsicherheit, die jeder spürt, der eine Intensivstation betritt. Ein Pfleger erzählt, dass er anfangs „Schiss“ gehabt habe, „an den Patienten zu gehen“. Und eine Schwester vergleicht die Intensivstation der Charité mit einem Raumschiff und einem Grenzbereich, in dem versucht wird, Tote zum Leben zu erwecken.

Vor den Schwerstkranken hat man Scheu, weil sie auf dieser Schwelle stehen und einen mit der eigenen Sterblichkeit konfrontieren. Und dann sieht man sie, ganz verkabelt, mit vielen Schläuchen, als wären sie Teil der Maschinen, die sie am Leben erhalten.

Eine Frau hat Multiorganversagen und ganz schwarze Füße. Sie weiß noch nicht, wie es um sie steht. „Was ist, wenn sie realisiert, dass ihre Extremitäten amputiert werden müssen“, fragt eine Ärztin. „Ich versuche, das auszublenden. Wenn ich da ganz genau hingucke, schnürt es mir aber den Hals zu.“

Erschöpft und teils dankbar liegen die Patienten in ihren Betten. Mit Galgenhumor sagt einer, der an der Beatmungsmaschine leidet: „Wenn es nicht klappt – ein Schuss ist billiger.“ Der Arzt antwortet: „So gesehen haben Sie recht, aber das können wir ja nicht machen.“ Es ist das einzige Mal, dass das Thema Geld erwähnt wird.

Jemand sagt: „In dem Zustand, in dem manche der Patienten hier leben, möchte ich nicht leben.“ Ein hagerer Patient singt mit dünner Stimme „Fuchs, du hast die Gans gestohlen“, weil das gut für die Lunge ist; ein anderer singt mit voller Stimme „Guten Abend, gute Nacht“. Atem ist Leben, und man denkt kurz daran, weniger zu rauchen.

Ein Gerät macht Zicken; jemand stirbt. „Gibt es Rituale?“ – „Dann wird das Fenster aufgemacht, damit die Seele gehen kann“, antwortet ein Arzt.

Immer wieder geht es um die Frage, ob es sinnvoll sei, Patienten über längere Zeit intensivmedizinisch zu behandeln, um die Notwendigkeit, sich über Patientenverfügungen schon früh Gedanken zu machen, um die Schwierigkeit dabei, denn das gesunde Ich empfindet ja ganz anders als das todkranke Ich im Krankenbett.

Der Film ist empathisch und nimmt einen mit. Man schaut ihn gebannt an und fühlt sich danach lebendiger; sympathische Ärzte und Pfleger tun ihre Arbeit gern und haben Zeit für ihre sympathischen Patienten.

Eine Mitarbeiterin der Intensivstation wunderte sich danach: „Alles wirkt so geordnet. Ich erlebe das anders.“ Eva Wolf sagte: „Wenn wir kamen, war es ruhig, wenn wir gingen, war die Hölle los.“ Wenn meine Schwester mir von der Arbeit im Krankenhaus erzählt, klingt es nicht so harmonisch. DETLEF KUHLBRODT

■ „Intensivstation“. Regie: Eva Wolf. Dokumentarfilm, Deutschland 2013, 86 Min. Babylon Mitte, 13. Dezember, 18.15 Uhr